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Anne Holt: Das elfte Manuskript, Kriminaloman

Die erfolgreiche norwegische Autorin Anne Holt.

Die angesehene norwegische Schriftstellerin Anne Holt hat wieder einen meisterhaften Roman geschrieben. Schon der Titel, Das elfte Manuskript, verrät, wie raffiniert und pfiffig die Autorin ist. Das genannte Manuskript ist Ausgangspunkt des Romans, der zugleich Holts elftes Buch in der Krimiserie mit Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen im Zentrum ist. In der komplexen und vielschichtigen Geschichte vermischen sich Fiktion und Realität.

Oslo, Ausgangspunkt der Hnadlung. Im Bild das älteste Steinhaus, erbaut 1626. ©  Holger Uwe Schmitt / wikipediaGanz Oslo ist leer, die Menschen müssen zu Hause bleiben. Covid-19, genannt Corona, hat auch Norwegen im Griff. Hanne Wilhelmsen stört das nicht. Nach einer Schussverletzung sitzt sie im Rollstuhl, hat sich pensionieren lassen und nutzt den Lockdown, um im Mondenschein spazieren zu fahren. Sie genießt die Stille, den Duft des nahenden Frühlings. Vier Jahre hat sie die Wohnung kaum verlassen, menschenscheu war sie schon immer, die eigenartige Hauptkommissarin. Jetzt will sie niemanden mehr sehen, außer ihrer Frau und der gemeinsamen Tochter Ida. Doch die ist ein Teenager und tut nichts lieber als ihrer Hammo zu widersprechen. Larvik, Geburtsstadt von Anne Holt. Im Bild der Hauptplatu. © wikipedia
Zur gleichen Zeit plagt sich der ehemalige Kollege Henrik Holme mit einem unlösbar scheinenden Mordfall. Ein 82-Jähriger hatte im Kofferraum seines 20 Jahre alten Mercedes die Leiche einer nackten Frau gefunden. Ihr Gesicht war zerstört, Identifizierung unmöglich. Die Pandemie bremst die Ermittlungen, niemand interessiert sich für die Tote. Außer Henrik Holme. Doch der kommt nicht weiter und bittet deshalb Hanne Wilhelmsen um Hilfe. Henrik kennt alle Tricks, um die unzugängliche Exchefin zu erweichen. Ausgangspunkt der Recherchen ist der kleine Hof des alten Mannes. Er liegt in Trysil, mehr als 200 km vom Fundort in Oslo entfernt. Doch Hanne hat Blut geleckt, der Rollstuhl darf kein Hindernis sein, sich auf die Reise zu begeben. Ach in Tromsø hat die Autorin ihre Kindheit verbrach. Im Bild: der Hafen mit Blick auf die Eismeerkathedrale. © wikipediat
Henrik und Hanne bekommen eine Mitreisen, Ebba Braut, eine junge Lektorin, die im renommierten Verlagshaus Storkhøj gleich an ihrem ersten Arbeitstag mit zwei schwierigen Aufgaben betraut wird. Einerseits soll sie den ersten Roman der pensionierten Hauptkommissarin Wilhelmsen lektorieren und zugleich den neuen Roman der Bestsellerautorin und Goldeselin des Verlags, Marion Kovig, zum Druck begleiten. Dabei türmen sich vor Ebba scheinbar unüberwindliche Hürden auf.  Dr.Holmsvei 9; das Elternhaus von Anne Holt im Stadtteil Nanset von Larvik. © Morten Bakkeli / wikipediaWilhelmsen weigert sich, mit der Lektorin zu sprechen, an ihrem Roman wird kein Punkt geändert, meint sie. Und das Manuskript der Kovig ist verschwunden. Es ist das elfte, die zehn bisher erschienenen Romane, jeder ein Knüller, wurden von der Cheflektorin des Verlags bearbeitet. Logisch, dass die durch die langjährige Zusammenarbeit mit der eigenwilligen Autorin auf spezielle Art mit ihr befreundet war. Die Eissbergkathedrale in Tromsø, wo Anne Holt einen Teil ihrer Kindheit verbracht hat. ©  BishkekRocks / wikipedia Doch jetzt ist sie in Pension und hat wenig Lust, mit ihrer unerfahrenen Nachfolgerin über das verschwundene elfte Manuskript zu plaudern. Doch Ebba muss so oder so mit Hanne Wilhelmsen reden und nutzt die Gelegenheit, sich auch an die erfahrene Ermittlerin zu wenden. Nolens volens nehmen Hanne und Henrik die hartnäckige Ebba auf ihrer Reise durch Norwegen mit.   Der Wintersport Trysil im  Osten Norwegens, an der Grenze zu Schweden. Hier kommen Hanne, Henrik und Ebba der Lösung einiger Rätsel näher. © wikipedia   Zu entwirren sind die Handlungsstränge anfangs gar nicht. Erst allmählich bekommt die Leserin eine Ahnung, wie die einzelnen Fäden zusammenhängen. Die Intrigen in der Buchbranche und die Macht der Literatur spielen eine Rolle, und auch, wie schwer Realität und Fiktion zu unterscheiden sind. Das Geflecht aus Geheimnissen, Lügen und Intrigen löst allmählich auf und Wilhelmsen und Holm kommen der Wahrheit immer näher. Die  Ljørdalen Kirche in Trysil,  wo der alte Mann, in dessen Auto die unbekanne Tote gefunden worden ist, eine Hütte hat. © .wikimediaBis zum Finale bleibt der Roman aufregend und voller Überraschungen.
Für Anne Holt ist Norwegen nicht das Paradies, wie sich das durch Öl reich gewordene Land gerne darstellt. In ihren Kriminalromanen macht sie kein Hehl aus den dunklen Seiten im Land, kritisiert die Gesellschaft und auch die Regierung. Noch deutlicher wird ihre scharfe Kritik in der neuen Serie um Anwältin Selma Falk. Anne Holt: „Das elfte Manuskript“, Buchcover. © Atrium Verlag
Anne Holt wurde 1958 in Larvi /Norwegen geboren. Sie ist die Tochter des Physikers Olav Holt, des ehemaligen Rektors der Universität Tromsø. Bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete, hat sie als Journalistin, Polizistin und Anwältin gearbeitet. 1996 war Holt für kurze Zeit norwegische Justizministerin. Doch sie hat das Amt abgegeben, als die Medien in ihrem Privatleben gewühlt und ausführlich über eine Erkrankung berichtet haben. Wie ihre Romanfigur Hanne Wilhelmsen lebt Anne Holt in eingetragener Lebensgemeinschaft mit ihrer Frau und der gemeinsamen Tochter.

Anne Holt: Das elfte Manuskript, Ein Fall für Hanne Wilhelmsen, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, 480 Seiten, Atrium Verlag, 2024. € 24,70. E-Book: € 18,99.