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Eine brutale Vertreibung aus dem Paradies

Pulitzer-Preisträger Paul Harding erzählt voll Gefühl.

 

Die wahre Geschichte der Insel Malaga im US-Statt Maine hat den Autor Paul Harding zum Roman This Other Eden inspiriert. Silvia Morawetz hat die auf der schandbaren Realität basierende Geschichte ins Deutsche übersetzt. Sein Garten Eden ist bei Luchterhand erschienen und absolut lesenswert. Traurig und unterhaltsam zugleich.

 Murphy Familiy, 2010.Harding hält sich nur an die Eckdaten, vor allem an das Ende von Malaga Island. 1912 wurde die Insel evakuiert, die Bewohnerinnen wurden vertrieben, Familien auseinandergerissen und auf psychiatrische Anstalten und Pflegeheime verteilt. Mehr als 100 Jahre nach „der Schande von Maine“, wie der Autor Steve Mitchel seinen Bericht über „die Zwangsräumung der Insel Malaga“ nennt, hat das Parlament von Maine 2020 sein „tiefes Bedauern“ über die Absiedelung und Vertreibung der Inselbewohner ausgedrückt. Es gibt kaum andere Berichte, die Bewohnerinnen haben sich nicht geäußert oder wurden gar nicht befragt. Doch es gibt einige Bilder im Internet.  Unidentifiziertes Mädchen auf der Insel Malaga. Der erste Bewohner der Insel war Henry Griffin, ein Afroamerikaner aus Harpswell, einer Stadt an der Küste von Main, nahe der Insel. Vermutlich ist er Anfang bis Mitte der 1860er Jahre angekommen. Um 1880 lebten etwa 27 Menschen auf der Insel. Schon bald erschienen in den Zeitungen Berichte über die „entartete Kolonie“, zu deren Verfehlungen der Konsum von Tabak und Tee gehörte. In einigen Artikeln wurde auch behauptet, dass es in der Gemeinschaft Inzest und Frauentausch gab und dass Kinder mit stumpfen Hörnern im Untergrund lebten. John and Rosella Eason vor ihrem Haus.
Paul Harding erzählt seine eigene Geschichte, die im Frühling 1912 beginnt, fast ein Jahr bevor die Regierung Mains die Insel leert. Er gibt den Frauen, Männern und Kindern Namen, Gesicht und Individualität. Für ihn ist der erste Siedler „Benjamin Honey, Amerikaner, Bantu, Igbo“, ein ehemaliger Sklave und Schiffszimmerer, der mit seiner irischen Frau auf die Insel gekommen war, um eine Obstplantage zu schaffen. Deshalb heißt die Insel, auf der bald mehrere Familien leben, im Roman Apple Island / Apfelinsel. Die Zuwanderer kamen aus unterschiedlichen Gegenden und Ethnien. Der Spruce Forest auf Malaga Island, der nun, wie die gesamte Insel, unter Naturschutz steht. © wikipediaDie Honeys vermehrten sich, Bevölkerung der Apfelinsel wurde größer und auch bunter. Kinder wurden gezeugt, in vielen Familien lebten hell- und dunkelhäutige Mitglieder, die Herkunft Einzelner war nicht mehr an der Hautfarbe zu erkennen. Einem weißen Neger, dem begabten jungen Maler Ethan Honey, wird das zum Verhängnis. Ethan hatte sich in die weiße Amerikanerin Bridget verliebt. Als der Quartiergeber, zugleich Herr des Dienstmädchens Bridget, erkennt, dass Ethan kein Weißer ist, jagt er beide von seinem Anwesen. Sie müssen fliehen und sich verstecken, um nicht ins Gefängnis zu kommen. Allerdings gelingt die Flucht nicht gemeinsam. Die Inselgemeinschaft. © Steve Mitchell / wikipediaDie Familie Honey, im Roman Nachfahren der ersten Siedler, steht im Zentrum des Romans, in dem Harding sich grosso modo an die Fakten hält, die genauer hier nahzulesen sind. Der Autor schafft es, allen seinen Personen Konturen und Profil zu geben, muss sie nicht beschreiben, sondern lässt sie denken, träumen und handeln, sodass ein buntes, lebendiges Bild von Apple Island und seinen Bewohnerinnen entsteht. Man gewinnt sie alle lieb, auch den weisen Zachary, der in einem Baum wohnt, und die vier sonderbaren Kinder mit der fast durchsichtigen weißen Haut und fast roten Augen der Larks. Ihre Eltern sollen Geschwister sein. Die Schule von Malaga, die ein pensionierter Lehrer eingerichtet  und damit die Aufmerksamkeit des Staates auf die unorthodoxee Gemeinde gelenkt hat.Harding hat seine Personen voll Empathie, Respekt und Zuneigung lebendig werden lassen. Die letzten Kapitel, in denen Harding von der Evakuierung der Insel erzählt, sind zum Weinen. Die Amtspersonen können mit ihrem grausamen Auftrag nicht umgehen, sind gröber als sie sein müssten und womöglich auch wollten. Mit seinem schönen Roman lässt Harding darüber nachdenken, dass der US-Bundesstaat nicht der einzige Ort ist, wo Menschen, die anders sind und leben als die herrschende Mehrheit, Unrecht getan wird. Ob in Australien, Kanada oder Europa, nahezu auf der ganzen Welt wurden noch im 20. Jahrhundert Menschen, Schüler aller Altersstufen vor ihrer kleinen Schule, etwa 1909.die nicht in die Norm passen, verfolgt und zwangsweise umerzogen. Indigenen oder nomadischen lebenden Gruppen wurden ihre Kinder entzogen, oft auch ihr Land. Sie sind missachtet, ausgegrenzt, verpflanzt und traktiert worden, damit sie ihre Persönlichkeit und ihre Tradition aufgeben, die Ordnung nicht mehr stören und sich der Masse unterordnen.
Eine zweite Bemerkung macht der Verlag:

Der Roman spielt in einer Zeit und in einer Welt, in der Vorurteile und Anfeindungen gegen Menschen anderer Ethnie, Hautfarbe oder Religion zum Alltag gehören. Dem Verlag ist bewusst, dass es sich bei einigen der verwendeten Ausdrücke um Diffamierungen handelt, deren Verwendung und unverfälschte, nicht beschönigende Übersetzung jedoch zur Charakterisierung der Figuren gehören.

Paul Harding: Sein Garten Eden, Deutsch von Silvia Morawetz, Luchterhand 2024. 320 Seiten. € 24,70. E-Book: € 18,99.
Fotos: © Courtesy of Peter K. Roberts / Collection of Maine Historical Society; Maine State Museum collection; Maine Coast Heritag Trust.