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Die Kraft des Zusammenseins

Karin Pauer, Martina De Dominicis, Arttu Palmio: noch keine Gemeinschaft.

Karin Pauer und Aldo Giannotti im Wuk. Was es bedeutet, wenn alle im gleichen Raum beisammen sind? Das Publikum und die Künstlerinnen. Dann ist das Theater nicht mehr Illusionsraum, sondern Realität. Im Stück Every Body in a Space wollen die Choreografin Karin Pauer und der bildende Künstler Aldo Giannotti den Theatersaal zu öffentlichen Raum machen, die Bretter bedeuten tatsächlich die Welt.

„Every body in a space“: (Aber) Angst haben wirniemals. Ein Wagnis. Das Publikum muss mittun. Pauer und Giannotti zeigen Mut und haben keine Angst und werden auch nicht enttäuscht. Die Körper im selben Raum vereinen sich zur Gemeinschaft, konsumieren nicht, sondern sammeln Erfahrungen. Ohne Rampe und Portal, ohne Vorhang und Zuschauertribüne: Every Body in a Space.
Am Ende der abwechslungsreichen Stunde, und das muss ich jetzt vorwegnehmen, stehen wir alle, Künstlerinnen und Zuschauerinnen auf den zu einem kleinen Geviert zusammengeschobenen Bänken und singen: „Sebben ehe tutto questo accade, paura non abbiamo“ / „Auch wenn das alles passiert, wir haben keine Angst.“ Der Schwarm wird zu einem Körper, das angstlose Kollektiv singt mit einer Stimme. Arttu Palmio, Martina De Dominicis bei der Probe. Im Hintergrund die Zeichnungen von Aldo Giannotti.
Die einfache Melodie ist am Ende des 19. Jahrhundert entstanden und begleitet das Protestlied La Lega, das von den Arbeiterinnen auf den Reisfeldern in der Poebene gesungen worden ist. Der originale Refrain lautet „Sebben ehe siamo donne, paura non abbiamo“ / „Auch wenn wir Frauen sind, haben wir keine Angst.“ Textdichter und Komponist sind unbekannt, doch der Filmregisseur Bernardo Bertolucci (1941–2018) lässt in seinem 1976 gedrehten Film Novecento (Deutsch: 1900) „La Lega“ von den Frauen der Landarbeiter singen.
Die Textadaption kann auch als Motto für den Abend gelten. Denn das, was Karin Pauer und Aldo Giannotti gemeinsam mit den Tänzerinnen Martina De Dominicis und Arttu Palmio versuchen, ist ein Wagnis. Keine Vorstellung, keine Geschichte, auch keine Selbstdarstellung, kein Theater. Ein Trio ist noch keine Comunity, doch immerhin ein Konsilium. (De Dominicis, Palmio und verdeckt Pauer.Der große Saal im WuK ist ein öffentlicher Platz, eine Arena, in der sich Menschen versammeln, kommunizieren und auch gemeinsam handeln. Manches, so meint der Soziologe und Beobachter des städtischen Lebens Richard Sennett (*1943), sei in Öffentlichkeit unter Fremden eher möglich als im privaten Bereich. Gern zitiert Sennett „die Tyrannei der Intimität.“
Eine Ahnung von Theater / Performance gibt es dennoch. Eine Wand ist von Giannotti mit ungezählten Piktogrammen geschmückt worden. Strichmännchen, die Tafeln hochhalten, mit Parolen beschriebene und völlig leere. Jede(r) kann sie in Gedanken selber beschriften. Und es wird auch getanzt. Anfangs, wenn aus den Lautsprechern Donnergrollen und Windheulen tönt, wehrt sich das Trio (De Dominicis, Palmio, Pauer) gegen die Gewalt der Natur. Schließen sich die Drei eng zusammen, sind sie stabiler. Kein Sturm wirft sie mehr um. In Zeitlupe bewegen sich die Tänzerinnen, trennen sich und finden immer wieder zusammen, formieren sich zu Skulpturen. In kurzen Pausen werden die Bänke neu geordnet, sodass immer neue Räume entstehen. Zum Schluss ist ein Podest entstanden, das den öffentlichen Platz simuliert, dessen Verlust in den Städten Sennett bedauert.Die Tanzffläche wird eingegrenzt. Noch ist der Platz kein ffentlicher Raum.
Dieses Unterfangen, keine Show zu zeigen, sondern das Publikum in die Realität zu führen, hätte auch total schiefgehen können. Der Weihrauch über den Köpfen wird durch lebendige Männchen, die beschriftete Tafeln hochhalten. Es sieht nur so aus, als würde da protestiert, im Gegenteil, es wird sanft zu gemeinschaftlichem Handeln aufgefordert, etwa den Techniken den verdienten Applaus zu spenden oder einander zu helfen.
Da gesamte Unternehmen trägt das Scheitern bereits in den Genen. Was tun, wenn das übliche passive Zuschauen und Genießen einer Tanzvorführung verlangt wird? Aldo Giannotti , mit Karin Pauer künstlerischer Leitung des Abends. © Marco PauerWas tun, wenn den Technikern niemand Applaus spendet, niemand aufsteht, damit die Bänke verschoben werden können? Paura non avevano! Sie haben keine Angst gehabt, aber eine gute Portion Mut. Das Experiment hat funktioniert. Fremde haben sich versammelt und dasselbe Lied gesungen.
Es mag Zufall sein, dass ich vor dem Treffen im WuK bei einer anderen Versammlung von Sound und Bewegung im Raum war. In Der Betrieb. Auch Anna Maria Nowak und Alexander Gottfarb, Initiatorinnen von Der Betrieb, sehen das Zimmer mit den großen Fenstern im Vogelweidplatz ebenfalls als öffentlich Raum, als Raum der Begegnung, in dem es keine Rampe und keinen Theatervorhang gibt. Wer kommt, um ein wenig zu bleiben, sieht den Tänzerinnen zu, hört die Musik und wird mitunter auch sanft aufgefordert etwas zu tun, oder auf der Matte zu liegen. In der aktuellen Staffel, der Season of Sound, wirken neben den Tänzerinnen (Stella Covi, Alexander Gottfarb, Jolyane Langlois, Raul Maia and Lena Schattenberg) auch zwei Musiker mit. Karin Pauer, mit Aldo Gianotti künstlerische Leiterin des Abends. © Marco Pauer Das Duo utrumque (Gerhard Eckel and Ludvig Elblaus) machen Den Betrieb durch akustisches Rückkopplungssystemen zu einem raumgreifenden Instrument.
Die aktuelle Staffel ist die Season of Sound.
Die Verbindungslinie stellt nicht nur die Utopie von einem anderen Theater her, sondern auch die Person Karin Pauer. Sie hat die Kostüme für die Tanzenden entworfen. Weder im Betrieb noch im Gemeinschaftsraum im WuK gibt es Applaus. Beim einen, weil in den Öffnungszeiten permanent  gearbeitet wird, zum anderen, weil wir nicht zu denen zählen, die sich selbst applaudieren. Die Techniker haben Glück gehabt, sie haben den ihnen zustehenden Applaus bereits erhalten.  

Karin Pauer und Aldo Giannotti: Every Body in a Space, 21., 22., 23. März 2025, WuK.
Künstlerische Leitung: Karin Pauer, Aldo Giannotti
Choreografie, Performance: Martina De Dominicis, Arttu Palmio, Karin Pauer
Live Sound: Manuel Riegler; Zeichnungen: Aldo Giannotti
Licht: Roman Harrer, Technik: Ritchie Bross. Leo Kuraite, Leon Truschner; Produktion: mollusca productions.
Der Betrieb: The Season of Sound, noch bis  5. April 2025, Mittwoch bis Samstag, 14 bis 19 Uhr. Eintritt frei. Vogelweidplatz 13, 1150 Wien.