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Im Loop: Kinder verschwinden, Ratten tauchen auf

Zaza Burchuladze, geboren In Tbilissi, Georgien. © wikipedia / Ikeschef

Zaza Burchuladze, 50, ist ein georgischer Schriftsteller, der aus politischen Gründen mit seiner Familie nach Berlin emigriert ist. Er schreibt weiterhin auf Georgisch, Sybilla Heinze hat die atemlos hervorgesprudelte Philippika übersetzt. Allerdings richtet sich diese Tirade nicht gegen eine Person oder konkrete Missstände, sondern erzählt vom Verlust der Heimat, von Verzweiflung und immer wieder auch vom Schreiben. Wie ein Karussell dreht sich die Rede Zazas, also offenbar des Autors selbst, ständig im Kreis, kommt zu keinem Ende und fängt doch wieder von vorne an. Dieser Zaza ist beredt und gebildet, belesen und unglücklich.

Das moderne Tbilissi (Tiflis), hier ist Burchuladze geboren. © wikipedia / gemienfreiAll diese Eigenschaften breitet er vor den Leserinnen aus, Autorennamen, Philosophennamen, bekannte und weniger bekannte, georgische, russische, aber auch französische, deutsche Namen werden aufgezählt, Zaza kennt sie alle, doch was tun sie in seiner verzweifelten Rede? Es würde nichts ändern, sie im Literaturlexikon (früher) oder in Wikipedia (heute) ruhen lassen. Namedropping betreiben eigentlich nur Wichtigtuer und Besserwisser.
Anfangs liest man amüsiert weiter und weiter, doch allmählich wird man müde, möchte, dass etwas geschieht, etwas, das den Erzähler endlich aus seiner Erstarrung im drehenden Karussell reißt. Gut, es passiert wirklich etwas, ein zweiter Roman taucht auf. Roman im Roman? Das hätten wir doch schon! Seit zehn Jahren lebt Zaza Burchuladze im grauen Berlin. Dort zuhause ist er noch lanage nicht.  Foto: nie vfd / bz-berlin.dePostmoderne, Strukturalismus, Intertextualität, Metafiktionalität, Schreiben über das Schreiben, Selbstironie … Jeder kann in Wikipedia herumsuchen und nachlesen. Schon 1939 hat der irische Schriftsteller Brian O’Nolan (1911–1966) unter dem Pseudonym Flann O’Brien den großartigen und großartig verwirrenden Roman (im Roman) „At Swim-two-Birds“ veröffentlicht. Er ist von den Kritikern sofort in der Luft zerfetzt worden. Im deutschen Sprachraum beschworen Harry Rowohlt und Helmut Mennicken 50 Jahre nach der englischen Erstauflage mit einer neuen Übersetzung einen regelrechten Flann O’Brien-Hype. „Auf Schwimmen-zwei-Vögel oder Sweeny auf den Bäumen“ (Haffmans, 1989) wurde zum Kultbuch. 2002 ist im Schweizer Verlag Kein & Aber eine Neuauflage erschienen, die offenbar schon vergriffen ist. „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“, Cover des Taschenbuches. © HeyneAuch das Heyne-Taschenbuch von 2005 ist nur noch gebraucht zu erhalten. Der österreichische Regisseur Kurt Palm ließ den Schriftsteller und Schauspieler Harry Rowohlt (1945–2015) in dem Theaterstück „In Schwimmen-zwei-Vögel“, aus dem 1997 auch der gleichnamige Film entstanden ist, auftreten. Es scheint als wäre Flann O’Brien wieder vergessen, Zaza Burchuladze kann ihn jedoch nicht ersetzen.
Ließe man das Kleingedruckte, verschiede Wortspiele oder Wort-Wortspiele und bezifferte Anmerkungen, die gemeinsam einen erheblichen Teil des Werkes bilden, weg, käme man vielleicht zu einer Lektüre, die etwas zu sagen hat. Der  Rattenkönig in Christian Spucks Ballett vom  „Nussknacker“. Böse, aber nicht so grausig wie die im Roman wiederholt geschilderte Invasion echter Ratten. Foto: Gregory Batardo / Opernhaus Zürich„Wörterausstellung“ heißt der interne Roman, der vom Leben in einem russischen Plattenbau, einer sogenannten Kommunalka, erzählt. Dort verschwinden immer wieder Kinder, doch der Müll und die Rattenplage nehmen zu. Keine angenehme Lektüre, man kann darauf verzichten. Sogar Zaza, der Erzähler, dem der Nachbar seinen Roman aufbrummt, damit ihn der Schriftsteller lese, ist von den grauslichen Details in der Norma (so heißt der Wohnblock) genervt. Also sei auch der Leserin erlaubt, nach zwei Dritteln, kurz vor Beginn des Kapitels XLVII in der Wörteraufstellung, nach mehr als 200 Seiten, aufzugeben. Danach käme Kapitel 14 in der geseufzten, geschimpften, geweinten (ja, der Autor erlaubt sich „manchmal zu heulen.“) wasserfallartig hervorstürzenden Erzählung Zazas. Da überfällt ihn eine Halluzination: Ein Strom von weißen Zwergen quillt aus dem Aufzug. Wenn Sie wollen: Seite 235 von 320. Kollegin Nino Haratischwili durchquert den neuen Roman ihres Landsmanns „atemlos wie ein Labyrinth“. © Julietschka / Artwiki

Zoorama gleicht für mich einem Labyrinth, das man atemlos durchquert, als wäre es eine Sache der Unmöglichkeit innezuhalten oder gar umzukehren. Ähnlich Dantes Vergil, treibt uns das Alter Ego des Autors zielsicher durch sein eigenes, persönliches Inferno. Er führt uns durch das schmutzige und graue Berlin, ins zerstückelte, für ihn nur noch aus Versatzstücken bestehende Tbilisi, hinein in ein apokalyptisches Hochhaus mitsamt seinen skurrilen und dem Untergang geweihten Bewohnern. (Nino Haratschiwilli, mehrfach preisgekrönte georgische Schriftstellerin, die seit circa 2003 in Deutschland lebt.)

Zazas Burchuladzes jüngster Roman ist im Verlag Tropen erschienen. Zaza Burchuladze: "Zoorama", Buchcover. © Tropen VerlagDa kann sich so manche verirren, denn der Begriff Tropen ist ein Teekessel, das heißt er hat mehrere Bedeutungen. Hier geht es nicht um die Regionen nördlich und südlich des Äquators, sondern um eine Stilfigur. Der Tropus (auch die Trope, Plural Tropen) ist in der Rhetorik ein Überbegriff für bestimmte sprachliche Stilmittel. Der Verlag Klett-Cotta hat diesen Titel für eine Literaturreihe mit „überraschender, urbaner und innovativer Literatur sowie gesellschaftlicher, politischer oder pop-kultureller Themen“ gewählt. Tropen ist ein Imprint von Klett-Cotta.

Zaza Burchuladze: „Zoorama“, aus dem Georgischen übersetzt von Sybilla Heinze, Tropen. 320 Seiten, € 24,70