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Andrej Kurkow „Samson und Nadjeschda“, Roman

Autor Kurkow im 3-sat-Interview zum aktuellen Krieg in seiner Heimat.

In seinem jüngsten Roman, „Samson und Nadjeschda“, auf Russisch unter demselben Titel erschienen 2020, erzählt Andrej Kurkow vom Bürgerkrieg in der Ukraine um das Jahr 1919 und dem Chaos nach der Russischen Revolution in Kiew. Unversehens hat der historische Roman durch den Kriegsausbruch in der Ukraine im Februar an Aktualität gewonnen. Skurril, melancholisch und auch unterhaltsam sind Andrej Kurkows Romane und Erzählungen. Selbst wenn er vom Bürgerkrieg nach der Russischen Revolution in der Ukraine erzählt, behält der Autor seinen von Leser:innen und Rezensent:innen geschätzten Stil bei. Kurkow ist Gast bei Buch Wien 2022.

 Die Chrescatykstraße in Kiew um 1900. © starkiev.com / gemeinfreiDer Ausbruch des Krieges in der Ukraine verleiht dem historischen Kriminalroman beklemmende Aktualität. Die Geschichte von Samson, der in einer sich auflösenden Welt durch Zufall Polizist wird und sich in chaotischen Zeiten auf die Jagd nach Verbrechern macht, könnte auch heute geshehen.
In den Straßen Kiews herrscht Krieg, die alte Ordnung ist zerstört, nicht allen gefällt das. Wer das Haus verlässt, riskiert sein Leben, Freund und Feind werden von den Kämpfern nicht mehr unterschieden, wahllos wird gemordet. Den greisen Vater Samsons trifft das Schwert eines mit einer Horde rabiater Feinde der Revolution durch Kiew galoppierenden Kosaken. Er stirbt auf der Straße. Samson verliert ein Ohr, ein Verlust, der seltsamerweise seinen Gehörsinn erweitert, ihm aber etwas von seinem guten Aussehen nimmt. Es ist Mai 1919, die Bolschewiki wollen die Ukraine sowjetisch machen, der Bürgerkrieg ist voll im Gang, es wird geschossen und gestochen, Zarentreue gegen Leninanhänger und mittendrin die Unentschiedenen, die einfach wieder in Ruhe leben wollen. Samson ist klug und warmherzig, für Politik interessiert er sich nicht. Er hängt noch an der alten Ordnung.Feliks Dzierzynski war der erste Leiter der Tscheka, der Außerordentlichen Allrussischen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, kurz, des Geheimdienstes, der auch vor unschuldigen Zivilisten nicht Halt machte. Foto von 1918. © RIA Nowosti, rian.ru  / gemeinfreiDie neugierige Hausmeisterswitwe meint, er soll endlich heiraten, da er doch jetzt ohne Familie sei und stellt ihm Nadjeschda vor, eine aufrechte Bolschewistin, Angestellte im statistischen Zentralamt von Kiew. Nur ganz vorsichtig kommen die beiden einander näher.
Die Zeiten werden immer wirrer. Die Rote Armee quartiert ihre Soldaten überall ein, wo noch ein Schlafsack Platz hat, sammelt auch warme Unterwäsche, die den Rotarmisten fehlt. Auch Samson wird heimgesucht, verliert Stühle und die langen Unterhosen seines Vaters und bekommt auch Untermieter.: Zwei Soldaten, Bauernsöhne, die im Sommer wieder nach Hause zur Ernte wollen, und das geheiligte Arbeitszimmer des Vaters requirieren. Der Schreibtisch mit den wichtigen Dokumenten bleibt nicht lange stehen, er wird für die Ausstattung der neuen sowjetischen Büros benötigt. Versprochen wird, dass Tische und Sessel später wieder zurückgegeben werden.
Mutter-Heimat-Statue in Kiew als patriotisches Symbol. Foto: Efrem Lukatsky picture alliance/dpa/APSamson folgt dem für ihn so wertvollen Schreibtisch bis ins Polizeibüro, und weil auffällt, dass er schreiben kann und sich auch schriftlich perfekt ausdrückt, wird ihm ein Posten samt Einschulung in der Miliz angeboten. Samson wird Polizist und verbeißt sich gleich in einen mysteriösen Fall, dessen Beginn in den Säcken steckt, die seine beiden Untermieter allabendlich herbeischleppen. In diesen Säcken findet Samson Silbergegenstände und gestohlene Kleider und Mäntel. Ein aus Silber nachgebildeter menschlicher Knochen erweckt sein besonderes Interesse. Wie viele andere Rotarmisten stehlen auch Fjodor und Anton, was ihnen unter die Hände kommt. Später soll das alles verkauft werden. Samson, der eifrige Polizist, wird das verhindern. Sowjetische Propaganda: Die Roten Kosaken kämpften, im Gegensatz zu den Weißen Kosaken, auf Seiten der Sowjetischen Armee in der Ukraine.© encyclopdiapfukraine.com / gemeinfrei Die beiden Soldaten wider Willen müssen ins Gefängnis, Samson kann das freie Zimmer Nadjeschda anbieten. Die Witwe hat den Umzug eingefädelt, schließlich liegt seine Wohnung näher an Nadjas Büro als das Elternhaus. 
Der Fall, den Samson aufklären will, entpuppt sich als äußerst geheimnisvoll und verzwickt, doch Nadja steigt mit Begeisterung als private Hilfsermittlerin ein, um Samson zu unterstützen."Samson und Nadjeschda", Buchcover, © Diogene Verlag Gemeinsam können sie die Rätsel um den Silberknochen und die gefundenen Mantelteile lösen. Die Silberdiebseuche hat Samson auch beendet. Beruhigt kann er neben Nadjeschda einschlafen.
„Fortsetzung folgt“ hat Kurkow 2020 als er den Roman vollendet hat, als letzten Satz geschrieben. Samson und Nadjeschda werden noch viel zu tun haben bis die Bolschewiki 1921 verkünden konnten, dass die Ukraine sowjetisch sei. Eine ganze Krimireihe mit Samson und Nadjeschda hat Kurkow geplant. Der aktuelle Kriegsausbruch hat seine Erzählfreude gestoppt.
Er meldet sich zurzeit vor allem in den Medien, um über einen ganz anderen Krieg und dessen Hintergründe zu sprechen.
Ganz ohne Humor und Augenzwinkern. 

Andrej Kurkow: „Samson und Nadjeschda“, aus dem Russischen von Johanna Marx und Sabine Grebing, Diogenes 2022. 368 Seiten. € 24,70. Auch als E-Book erhältlich.
Andrej Kurkow ist am 26. und 27. November 2022 bei Buch Wien zu Gast.