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Tilman Röhrig: „Der Maler und das reine Blau …“

Macht Geschichte lebendig: Tilman Röhrig.

Der expressionistische Maler Franz Marc steht im Mittelpunkt des jüngsten Romans von Tilman Röhrig. „Der Maler und das reine Blau des Himmels“ ist ein etwas sperriger Titel, deutet aber darauf hin, worum es hier geht: um einen Unterhaltungsroman. Franz Marc dient lediglich als Schablone, Röhrig erzählt eher eine Liebesgeschichte, mit viel Herz und noch mehr Schmerz.

Franz Marc: "Die gelbe Kuh", 1911, Solomon R. Guggenheim Museum, New York.„Der große Franz-Marc-Roman“ nennt der Verlag den Schmöker, der genauso gut und so wenig aussagekräftig „Der Maler und das Gelb der Kuh“ oder „Franz und seine farbigen Tiere“ betitelt sein könnte. Sei’s drum, festgehalten soll jedoch werden, dass die 500 Seien keine Künstlerbiografie enthalten, sondern das Leben, Lieben und Sterben eines Mannes mit Namen Franz Marc. Franz Marc 1910. Quelle: "Die Unvergessenen", Herausgeber Ernst Jünger, 1928 Röhrig ist ein erfahrener Produzent von historischen Romanen, in denen er immer wieder auch von historischen Figuren erzählt. Natürlich hat er genau recherchiert, die Eckdaten der Personen und Ereignisse stimmen immer und der neue Roman erfreut Wissbegierige mit einer „Literaturauswahl“ und einer „Übersicht der wichtigsten handelnden Personen“, die alle tatsächlich gelebt haben. Eine Kurzbiografie Marcs ist ebenso wenig erhalten wie Illustrationen.
Ein Roman, auch wenn er um historische Figuren kreist, erlaubt dem Autor, seine Fantasie blühen zu lassen.Franz Marc. "Vögel", Städtische Galerie im Lenbachhaus, München. Je weiter zurück der als Basis dienende Lebenslauf liegt, desto größer ist der Freiraum, in dem sich der Autor entfalten kann. Wenn ich mich nicht irre, so ist Franz Marc, der 1880 in München geboren wurde und 1916 auf dem Schlachtfeld bei Verdun gestorben ist, der jüngste aller von Röhrig aus der Kunstgeschichte genommenen Romanhelden. Mit „Caravaggio“, dem italienischen Maler (1571­–1610) hatte er leichtes Spiel, keiner mehr da, der bezeugen kann, was er gedacht oder getan hat. Noch mehr leere Seiten dürfen mit der Vorstellungskraft des Autors gefüllt werden, wenn er von seinem Namensvetter, dem Bildschnitzer Tilman Riemenschneider erzählt. Tilman Riemenschneider: "Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen", um 1490/1495,Bode-Museum, Berlin. © gemeinfreiVon dem ist nicht einmal das genau Geburtsdatum bekannt. Zwischen 1459 und 1462 ist das Bübchen zur Welt gekommen, gestorben ist Riemenschneider 1531 in Würzburg. Der tüchtige und erfolgreiche Meister bietet dem Autor dennoch genügend Stoff, war er doch nicht nur Künstler (damals eigentlich geschätzter Handwerksmeister), sondern auch Ratsherr, später auch Bürgermeister von Würzburg. Röhrigs Roman über ihn mit dem schlichten Titel „Riemenschneider“ (Piper Taschenbuch, 2012) bietet neben der Vita des Künstlers auch ein fesselndes Panorama des zu Ende gehenden 15. Jahrhunderts.
Mit Franz Marc hat es der Autor nicht so leicht, der Maler gehört ins 20. Jahrhundert, Franz Marc: "Zwei Frauen am Berg", Skizze, 1906. Bei einem Ausflug hat Marc Marie Schnür, die erste Ehefrau, und die Geliebte und spätere 2. Ehefrau ,Maria Franck, gebeten, für ihn nett zueinander zu sein. Marie verbirgt jedoch ihr Gesicht. Quelle: Franz Marc Museum, Kochel am See.hat seine Kunst in einer Zeit entwickelt, als die bildende Kunst im Umbruch war und ist eine Galionsfigur der Moderne. Mit Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky und vor allem mit August Macke war er in keineswegs problemloser Freundschaft verbunden. Diese aufregende Zeit rund um die Erfindung der Fotografie und die Geburt der Moderne wird bestenfalls in kleinlichen Streitereien widergespiegelt, doch Röhrig konzentriert sich vor allem auf das außergewöhnliche und ziemlich komplizierte Liebesleben Marcs. Franz Marc und Maria Franck in Sindelsdorf, 1911 fotografiert von Wassily Kandinsky. Quelle: Helmut Friedel und Annegret Hoberg: "Der Blaue Reiter im Lenbachhaus München", Prestel, München 2013.Er rückt dabei den Figuren so nahe, dass er ihren Namen vergisst und von „dem Liebsten“, „der Liebsten“ und „Väterchen“ erzählt. Nichtssagende Dialoge und minutiöse Beschreibungen des Alltäglichen dienen wohl dem Erreichen der gewünschten Seitenzahl. Dass Maria Franck, die nach langem Warten und vielen überwundenen Hürden endlich seine Ehefrau werden konnte, auch Malerin war, wird nur so nebenbei erwähnt, wie überhaupt die Frauenfiguren nicht besonders gut wegkommen. Franz Marc: "Tierschicksale", 1913, Kunstmuseum Basel.
Doch es ist müßig, von einem Roman, und handelte er auch von in die (Kunst-)Geschichte eingegangenen Personen, allzu viel zu verlangen. Die Liebes- und Heiratssachen taugen halt besser für einen Bestseller, und dass Tilman Röhrig der Sprache mächtig ist und flüssig erzählt, ist ihm nicht abzusprechen. Man erfährt zumindest, warum der Maler Maria Franck, seine wahre Liebe, erst so spät geheiratet hat. Außerdem auch, dass „Der Blaue Reiter“ kein Bild von Marc ist, sondern ein Almanach, den er gemeinsam mit Kandinsky und anderen herausgegeben hat, um der künstlerischen Avantgarde ein Forum zu bieten. MWilhelm Marc: (Sohn) "Franz Marc beim Holzschneiden", um 1895, Franz Marc Museum, Kochel am See. Wilhelm Marc ((1839–1907), der Vater Franz Marcs, war ein Der Landschafts- und Genremaler. it dem „Geschmiere“ wollten die in diversen Vereinen und Gruppierungen fest auf ihren Sesseln hockenden Altvorderen nichts zu tun haben.
 Schön zu lesen ist auch, dass „Der Blaue Reiter“ 1912 von einem Verlag gedruckt worden ist, Buchcover @ Piper Verlagden der 24 -jährige Reinhard Piper 1904 gegründet hat. 90 Jahre später ging der Piper Verlag an das schwedische Medienunternehmen Bonnier über, das seit mehr als 200 Jahren im Familienbesitz ist.  Allen jenen, die weniger an der Kunstgeschichte als an leicht fasslicher Unterhaltung interessiert sind, kann auch dieser historische Roman, der eine Zeit, die heute noch lebendig ist, nur unzureichend beschreibt, empfohlen werden.

Tilman Röhrig: „Der Maler und das reine Blau des Himmels“ historischer Roman, Piper 2022. 544 Seiten inklusive Anhang. € 26,80.
Fotos: gemeinfrei / wikipedia.org/wiki/Franz_Marc
Titelbild (Autor): Amazon.de / vom Autor zur Verfügung gestellt.