Bonnie Garmus: „Eine Frage der Chemie“, Roman
Unterhaltung mit Tiefgang. Die Amerikanerin Bonnie Garmus, von Hauptberuf Kreativdirektorin in London, dreht in ihrem Debütroman das Rad der Zeit zurück und versetzt die Leserinnen in die 1960er Jahre, als die Frauen unter der Fuchtel des Patriarchats gestöhnt haben. Nicht nur in Kalifornien, wo die Hauptfigur, Elizabeth Zott, eine Karriere als Chemikerin anstrebt und am Mobbing und auch am Missbrauch durch die Männerriege scheitert.
Garmus erzählt Elizabeths Geschichte mit Charme und Humor, ein großes Vergnügen für alle, die diese Zeit noch am eigenen Leib verspürt haben und nahezu ein Aufklärungsbuch für alle, die keine Ahnung mehr von den Verhältnissen damals haben. Was die Autorin als Komödie beschreibt, hält jedem Faktencheck stand. Ungefähr so alt, wie Elizabeth Zott heute wäre, muss ich lachen und weinen zugleich. Lachen, weil das abenteuerliche Leben Zotts, ihr kämpferischer Mut und ihr Streben nach Eigenständigkeit und Unabhängigkeit so köstlich erzählt wird, dass man sich im Kabarett wähnt. Weinen, weil die Herrschaft der Männer einer Frau das Studium so schwer und Erfolg und Aufstieg unmöglich gemacht hat. Gelitten haben aber nicht nur Akademikerinnen, sondern jede Frau, ob unverheiratet oder mit einem Ehemann behaftet. Die einen mussten für jeden Schritt ein Ansuchen an ihren Beschützer stellen, die anderen saßen im Wirtshaus am Katzentisch und wurden vom Personal geflissentlich übersehen. Natürlich kann Bonnie Garmus die österreichische Kämpferin für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz und in Haus und Heim, Johanna Dohnal, nicht kennen, aber ihr Buch erinnert in jedem Kapitel, was die ehemalige Ministerin geleistet hat. Elizabeth Zott arbeitet an einem Forschungsprojekt im Hastings Research Institute, doch der zuständige Professor lässt sie nicht hochkommen. Ihre Intelligenz und ihre Forschungserfolge sind den Kollegen suspekt. Einzig der Chemiker Calvin Evans, ein Nobelpreisanwärter, erkennt Elizabeths Verstand und verliebt sich in diesen. Es ist die Erotik des Gehirns, die Chemie der Intelligenz, die Calvin und Elizabeth zusammenführen. Die Frauen am Institut missgönnen Elizabeth die Beziehung mit dem Genie; die Männer verdächtigen sie als Schmarotzerinnen an Calvins Erfolgen.
Das Glück währt jeddoch nicht lange und aus der erfolgreichen Chemikerin wird eine Fernsehköchin. Nicht Lust und Laune haben sie zum Sender getrieben, sondern die Notwendigkeit ihren und ihrer Tochter Lebensunterhalt zu verdienen. Elizabeth kann nicht anders, als auch aus der Kochsendung ihr Bestes zu machen. Sie ist auch am Herd vor der Kamera nicht willens, sich bieder und untertänig zu verhalten. Kochen, erklärt sie dem verdutzten weiblichen Publikum, ist eine Frage der Chemie. Und dann erfahren die staunenden Hausfrauen alles über Bindungen und Moleküle, über Säuren und Basen. Doch auch im Fernsehstudio lauert ein Chef, um sie niederzumachen. Wider Erwarten hat ihr origineller Kochlehrgang Erfolg, das Publikum wächst, die Sendung wird, wie meist nur Krimis, zum Straßenfeger, zumindest, was die weiblichen Zuschauer betrifft. Elizabeth lehrt die Frauen nicht nur kochen, sie fordert sie auf, ihren Tagesablauf, ja ihr Leben selbst in die Hände zu nehmen und sich nicht mehr unterzuordnen. Das kann keinem Mann gefallen. Obwohl Sponsoren für die Kochsendung Schlange stehen, will der Senderchef vom Erfolg Elizabeths nichts wissen, versucht sie hinaus zu ekeln. Sie weiß sich zu wehren – mit den Waffen einer Frau. Es ist ein Roman, also Fiktion auf der Basis von Fakten, deshalb darf verraten werden, dass am Ende alles gut ausgeht. Elizabeth kann die Küche, die für sie ohnehin auch ein Labor ist, verlassen und ans Institut zurückkehren. Die blamierten Männer ziehen sich zurück.
Natürlich ist auch Elizabeth nicht allein auf der Welt. Die wichtigste Person ist natürlich Tochter Madeline; die Nachbarin Harriet entpuppt sich als Freundin und lernt, dass jede Frau selbst über ihr Leben entscheiden darf und soll, und da ist auch Walter Pine, dessen Tochter Amanda mit Madeline in die Volksschule geht und täglich deren „Nahrung fürs Gehirn“ (Zettel auf der Jausenbox) mit Genuss verzehrt. Mutter Elizabeth ist empört, Vater Walter, ein von oben geknechteter Sendungschef beim Fernsehen, wird zum Verehrer Elizabeths und ändert dadurch ihr Leben. Garmus lässt alle Personen, die netten und die weniger netten, lebendig werden, man meint sie zu kennen, doch Elizabeth und Madeline muss man lieben. Ohne jegliche Verbissenheit und Häme erzählt Bonnie Garmus diese Geschichte der weiblichen Welt vor der 68er-Bewegung und der, schließlich die nötige Anerkennung erhaltenden, Frau, Chemikerin und Köchin, Mutter und Forscherin, Elizabeth Zott. Eine Erkenntnis bleibt nach der Lektüre hängen: Jede Frau, die für sich selbst um Eigenständigkeit und Freiheit kämpft, tut dies für alle Frauen, Zentimeter um Zentimeter.
Bonnie Garmus: „Eine Frage der Chemie“, „Lessons in Chemistry“, Übersetzung aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, Piper 2022. 462 Seiten, 22,70 €.