Beyerl/ Hofmann: „Die Dörfer von Wien“, Sachbuch
Die beiden Autoren, Beppo Beyerl und Thomas Hofmann, treffen einander immer dann, wenn es in Wort und Bild um Wien und seine Bewohnerinnen geht. Beyerl, 1955 in Wien / Hadersdorf geboren, ist von Beruf Wienkenner, Erzähler und Schreiber, die Vergangenheit ist ihm ebenso nahe wie die Gegenwart; sein Mitautor Hofmann, 1964 ebenfalls als Wiener geboren, ist Leiter der Fachabteilung Bibliothek, Verlag & Archiv der Geologischen Bundesanstalt, da bleibt offenbar auch viel Zeit zu schreiben, solo und à deux. Das neueste Werk des Duos handelt von den Dörfern, die rund um den Kern von Wien als Vororte ab dem 19. Jahrhundert in mehreren Schüben eingegliedert worden sind, die Stadt zwar vergrößert, doch ihre dörfliche Struktur oft behalten haben. Beyerl und Hofmann bieten einen reich bebilderten Spaziergang durch die Stadt und an ihre Ränder.
Vor etwa 150 Jahre zählte man in Wien nicht viel mehr als 66.000 Bewohner. Damals war das Stadtgebiet allerdings auf den heutigen 1. Bezirk, Innere Stadt, begrenzt. Dieser Bezirk innerhalb des Rings, vermutlich kleiner als das Vindobona der Römerzeit, ist heute mit knapp mehr als 16.000 Bewohner:innen der bevölkerungsärmste Bezirk. (Nachzulesen in de.wikipedia.) Nach 1848 wurden die 34 Vorstädte samt ihren Gärten und Feldern ins Stadtgebiet einbezogen, Wien reichte mit den neuen Bezirken bis zum Gürtel. 1892 sind dann auch die Vororte ins Stadtgebiet einbezogen worden, Wien erhielt peu à peu seine heutige Gestalt. Die letzte große Erweiterung fand zur Zeit der Nationalsozialisten statt, als durch das Eingemeinden Niederösterreichischer Märkte und Dörfer Groß-Wien entstanden ist. 1954 sind diese Erweiterungen großteils rückgängig gemacht worden, 80 Gemeinden wanderten wieder nach Niederösterreich, 17 Gemeinden, wie etwa die acht Ortschaften, die heute im 23. Bezirk, Liesing, zusammengefast sind, Stammersdorf oder Hadersdorf-Weidlingau, sind in Wien geblieben. Die 26 Bezirke von Groß-Wien, dessen Stadtgrenzen bis vor Korneuburg und Baden gereicht haben, sind auf 23 reduziert worden, dennoch ist Wien ab 1954 anderthalb mal so groß wie vor 1938, aber, und das wage ich aus Erfahrung hinzuzufügen, nur halb so grün. Immer noch reduzieren sich die landwirtschaftlich genutzten Flächen von Jahr zu Jahr, der fruchtbare Boden wird versiegelt.
Dass die dörfliche Struktur nicht nur an Wiens Rändern im Norden und Süden, sondern nahezu in allen Bezirken außerhalb des Gürtels sichtbar ist, erzählen Beyerl und Hofmann in ihrem neuen Buch. Die beiden Autoren nehmen ihre Leser:innen an die Hand und wandern mit ihnen von Floridsdorf ( das aus mehreren Dörfern besteht und die Postleitzahl 1210 hat) bis ins Kahlenbergerdorf, das im Gegensatz zu Nußdorf für mich bisher nicht als Teil des 19. Bezirks, Döbling, gegolten hat. Es ist eine vergnügliches Entdeckungsreise im Uhrzeigersinn (wie auch die Bezirke angelegt sind, in der Inneren Stadt beginnend als Schnecke), um die 32 Orte zu besuchen, die das Duo aus mehr als 60 ehemaligen Dörfern asugesucht hat, um Historisches und Anekdotisches über Ort und Bewohner:innen zu erzählen. Für alle, die schon im vorigen Jahrhundert geboren worden sind, sind viele dieser ehemaligen Dörfer und Vororte, ob Stammersdorf oder Dornbach, Ober St. Veit oder Rodaun, mit Erinnerungen gepflastert, für die neue Generation öffnet sich eine Schatztruhe der Geschichte und der Geschichten von und aus Wien.
Die Redewendung „Wien ist ein Dorf“ bezieht sich auf die, gegen andere Metropolen, glücklicherweise noch immer relative geringe Ausdehnung der Stadt, in der jede/r jede/n kennt. Auch andere Großstädte, etwa Berlin, sind aus Dörfern entstanden, Wien spezifisch ist der dörfliche Charakter vieler Bezirke nicht, was es darüber zu erzählen gibt, ist jedoch interessant und auch amüsant und auch vvtyisch, weil on zwei Wienern aufgeschrieben. Auch sogenannte waschechte Wiener:innen werden so manches Aha-Erlebnis haben. Zum Beispiel die (Wieder-)Entdeckung des Kunsthandels Karl Schwidernoch, der ursprünglich in Floridsdorf beheimatet war, 1897 jedoch nach Leopoldsdorf übersiedelt ist. Um die Jahrhundertwende beliefert Karl Schwidernoch die gesamte Monarchie mit seinen Postkarten, auch die allerkleinsten Orte bekamen eine Grußkarte (die vorne beschrieben worden ist). Schwidernochkarten zeigen auch die Dörfer von Wien, oft auf eine Art, wie sie jetzt noch oft in touristischen Orten zu kaufen sind, auch wenn das Ansichtskarten-Schreiben und -Verschicken nicht mehr in Mode ist. Die Schwidernochkarten sind an vielen kleinen, oft mit Sprüchen versehenen oder als Herzen oder Kreise dargestellte, Ansichten auf einer Grußkarte zu erkennen. Die Fotos wurden koloriert und haben heute Sammlerwert. In verschiedenen Archiven hat sie Hofmann gefunden und fotografiert, um die Dorf-Geschichten zu illustrieren. Die von Hofmann zur Veröffentlichen fotografierten Ansichten stammen aus seiner eigenen Sammlungen und aus Archiven. Sammler:innen wissen ihren Wert sicher zu schätzen.
Beppo Beyerl / Thomas Hofmann: „Die Dörfer von Wien. Geschichten einst und jetzt“, Braumüller 2021. 240 Seiten. € 24.