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Michaela Karl: „Isadora Duncan“, eine Biografie

Politologin und Biografin Michaela Karl. © Michele Corleone

Die für ihre leicht lesbaren Biografien bekannte Autorin Michaela Karl beleuchtet die Tänzerin Isadora Duncan (1877–1927), die zurzeit, da auch in den großen Ballettcompagnien der Spitzentanz immer weiter in den Hintergrund rückt, wieder in aller Munde ist. Michaela Karl schreibt nicht nur eine Hymne auf die Leistungen Duncans als Wegbereiterin des modernen Tanzes, sondern erzählt auch vom Leben Isadoras, das von mancherlei Katastrophen und Hindernissen geprägt war. „Lasst und tanzen und Champagner trinken trotz alledem!“, soll Isadora einmal gesagt haben, dieses Ondit wird zum ein wenig reißerischen Buchtitel. Doch alle Künstlerinnen-Biografien von Michaela Karl tragen ein Zitat der Hauptperson als Titel.

Isadora Duncan um 1909. Quelle: University of California. © gemeinfreiWer sich für die bahnbrechenden Leistungen auf der Bühne interessiert, hat mancherlei Gelegenheit, sich auch heute damit zu befassen. Der Tänzer und Filmregisseur Damien Manivel hat den eindrucksvollen Film „Les enfants d’Isadora / Isadoras Kinder“ nicht nur bei Festivals gezeigt. Der Filmtitel ist doppeldeutig, denn es geht weniger um die in der Seine ertrunkenen Kinder Duncans, sondern um ihre Kinder im Geiste (und Körper), die sich mit dem zwei Jahre nach dem Unglück entstandene Solo „Die Mutter“ befassen. Manivels Kollege, der Tänzer und Choreograf Jérôme Bel hat die Erinnerungen an Isadora Duncan mit der Tänzerin Elisabeth Schwartz, als Schülerin einer der Isadorables quasi Duncans Enkelin, wiederbelebt. „Isadorables“ wurden jene Schülerinnen genannt, mit denen Duncan als Truppe aufgetreten ist, die sie geliebt und bevorzugt hat. Manche wirkten weiter als Lehrerinnen. Auch Duncans Schwester, Elisabeth, leitete eine Schule, nicht im ganz im Sinne von Isadora. Wie innig Isadora, in Amerika geboren, aber so richtig erfolgreich erst in Europa geworden, mit ihrer Mutter und den Geschwistern verbunden war, wie großzügig sie alle auch finanziell unterstützt hat, ist eine der Erkenntnisse, die Karls Biografie auch jenen vermittelt, die sich bisher vor allem mit ihrer künstlerischen Karriere befasst haben. Isadora Duncan posiert für einen unbekannten Fotografen. © gemeinfreiIsadora ist in San Francisco in eine aus Irland eingewanderte Familie geboren. Nach der Scheidung der Eltern musste die Mutter, eine Musiklehrerin, die vier Geschwister allein durchbringen. Dass Isadora von der Ehe nicht viel gehalten hat und sich lange Zeit weniger für Männer und mehr für ihre Kunst und die Aufgabe, die sie sich gestellt hat, interessierte, darf nicht verwundern. Als sie aber die Freuden der Sexualität entdeckt hatte, war sie wenig wählerisch und musste eine Enttäuschung nach der anderen hinnehmen.
Nicht nur in ihrem Liebesleben und den Trinkgewohnheiten, sondern deutlicher vielleicht noch in ihrer Kunst ist die Zweiteilung ihres Lebens deutlich zu sehen. Isadora mit ihren beiden Kindern Deirdre und Patrick, fotografiert von Otto Wegener etwa ein Jahr vor dem Unglück. © gemeinfreiDer Bruch, der nie mehr heilte, geschah 1913 in Paris. Durch eine Unachtsamkeit des Chauffeurs rollte das Auto, in dem Duncans beide Kinder – Deirdre, die Tochter ihres zeitweiligen Gefährten, Edward Gordon Craig, war sieben Jahre alt, Patrick, Sohn des Nähmaschinen-Erbens Paris Singer, erst drei – mit dem Kindermädchen saßen, in den Fluss. Nur tot konnten die Kinder und das Kindermädchen geborgen werden. Zwei Jahre lang hat Isadora keinen Schritt getanzt, den tiefen Schmerz konnte sie auch mit dem Solo „La mère“ nicht heilen. Aber auch Isadora selbst war ein früher und überaus grausiger Tod beschieden. Bei einer Ausfahrt 1927 auf den Boulevards von Nizza verfing sich ihr langer Seidenschal in den Speichen eines Rades und schleuderte Isadora aus dem Wagen, wobei ihr das Genick gebrochen wurde. Die Duncan gezeichnet und koloriert von Abraham Walkowitz 1915. Quelle: Brooklyn Museum, © public domaineMit 50 Jahren ist die champagnertrinkende Revolutionärin des Tanzes auf der Straße gestorben.
Autorin Michaela Karl, die als Politikwissenschaftlerin zahlreiche Texte veröffentlicht hat, stützt sich auch in den Biografien bahnbrechender Frauen, unter anderen über Dorothy Parker und Liesl Karlstadt, auf reiche Quellen, die im Anhang auf alle, auf fast 30 Seiten, belegt sind. Bibliografie füllt weitere fünf Seiten. Dennoch ist der Lebensroman Isadora Duncans flüssig geschrieben, die Tänzrevolutionärin ist nicht länger Mythos auf dem Podest, sondern wird zu einem lebendigen Menschen, zu einer Frau mit Privatleben, mit Plänen und Zielen, mit Mut und Tatkraft, aber auch mit Schwächen und Fehlern.
Buchumschlag: Die Buchstaben des Titels tanzen. © brtb-veröage Ihr Tanz ist nur noch in der Erzählung lebendig, die wenigen erhaltenen Bilder zeigen lediglich Tableaus, wie auch im Bildteil des Buches zu erkennen ist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde nicht so heftig fotografiert wie heute, überdies war Duncan selbst nicht an Fotos und Filmen interessiert. Sie wollte ihr Publikum mit ihrem lebendigen Körper in Bewegung begeistern. Isadora Duncans Tanz ist ephemer, ihn mit einer Eintagsfliege gleichzusetzen, wäre keck und auch falsch. Duncans Tanz ist, neumodisch ausgedrückt, nachhaltig. Über die bekannte Tatsache hinaus, dass sie ohne Korsett, ja oft in durchscheinenden flatternden Gewändern getanzt hat.

Michaela Karl: „Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem!“, Isadora Duncan, eine Biografie, btb 2021. 444 S., € 24,70.