Marco Missiroli: „Treue“, Roman
Der in seiner Heimat Italien überaus erfolgreiche Autor Marco Missiroli hat auch mit seinem 6. Roman wieder einen Bestseller geschrieben. „Treue“ schildert eher Formen der Untreue vor allem in der Ehe. Originell ist das Thema nicht gerade, und die Kälte, mit der Missiroli als allwissender Beobachter des Ehepaares Carlo und Margherita beschreibt, lässt jegliche Dramatik und auch Originalität vermissen. Man hält bis zum Ende durch, wie Margherita an ihrer langweiligen Ehe festhält, weil man wartet, dass etwas passiert. Enttäuscht klappt man die Dutzendware zu.
Missiroli hat sich ein Mailänder Ehepaar ausgesucht, das nicht so recht lebendig wird. Carlo, der eine Lektorenstelle für kreatives Schreiben hat, möchte gern einen Roman schreiben, was ihm nicht gelingt. Margherita wollte Architektin werden und hat es nur zur Immobilienmaklerin gebracht. Nebenher laufen die Objekte der Untreue, ebensolche Papierfiguren, wie die Untreuen selbst. Sophie, eine Studentin aus der Provinz, die Carlo auf der Damentoilette der Uni zu verführen versucht hat. Er wird beobachtet, beide, er und Sophia, stellen das Ereignis als „Missverständnis“ dar. Dieses „Missverständnis“ nimmt Ehefrau Margherita zum Anlass, um sich mit dem Physiotherapeuten Andrea einzulassen. Später stellt sich heraus, dass Andrea, der seinem Vater auch im Zeitungskiosk aushilft, schwul ist, einen Freund hat, sich aber immer wieder seine Gelüste nach Sexabenteuern erfüllt.
Ein wenig interessanter wird die Erzählung im zweiten Teil, der etwa zehn Jahre später spielt. Die Ehe ist durch ein Kind gefestigt, Sophia ist längst wieder in Rimini und hilft ihrem Vater in der Eisenwarenhandlung, Margherita pflegt ihre Mutter, die nach einem Oberschenkelhalsbruch nicht wieder gesund wird. Anna ist die einzige Person, die sich von der Banalität des Romans abhebt, eine Frau, erfolgreich und humorvoll, die ihr Leben bewusst gelebt hat und zufrieden sterben kann.
Missiroli lässt seine Protagonist*innen nicht leben, er legt sie unter das Mikroskop, beleuchtet sie von außen, wenn sie gehen, stehen, liegen, sich waschen und lieben und auch von innen. In komplizierten Satzkonstruktionen kaut er den Leserinnen vor, was Carlo und Margherita, Sophia und Andrea denken und fühlen, der Leserin bleibt kein Spielraum für eigene Gedanken. Nahezu nahtlos reiht er die Szenen aus dem ereignislosen Alltag der vier Hauptpersonen aneinander, es gibt keine Kapitelunterteilungen, kaum Absätze und oft weiß man gar nicht, von wem er jetzt gerade erzählt.
Dass 500 italienische Schüler*innen Missiroli für „Treue“ den Premio Strega Giovani verliehen haben, kann nur mit dem Verhältnis der Italiener*innen zur billigen Unterhaltungsliteratur zu tun zu haben. „Treue“ erinnert mich an die schnulzenhaften Fotoromanzi, die in Italien nach dem 2. Weltkrieg erfunden worden sind und sich danach im gesamten romanischen Sprachraum ausgebreitet haben. Bekannte Darsteller*innen posierten für Fotos, die aneinander gereiht eine Geschichte ergaben. Mitunter sind auch bekannte Filme in Bilder zerlegt und mit einer knappe Bildunterschrift versehen worden, wie etwa „La principessa Sissi“ mit Romy Schneider. Die Inhalte eines Fotoromanzo, wovon in den 1950er Jahren etwa 1,600.000 im Umlauf waren, entsprachen dem deutschsprachigen Heftlromanen, die ebenfalls von Prinzessinnen, Traummännern und einem glücklichen Leben erzählt haben. Wie die Kamera für einen Fotoromanzo arbeitet auch Missiroli, er beschreibt die Bilder, doch seine Personen bleiben starre Abbilder, auch wenn sie ständig durch die Straßen Mailands, mitunter auch Riminis, wandern.
Marco Missiroli: „Treue“, („Fedeltà“), aus dem Italienischen von Esther Hansen, Klaus Wagenbach, 2021. 256 S. € 23,70