Thomas Sautner: „Die Erfindung der Welt“, Roman
Zwischen Natur und Kunst, Ironie und ernsthaften Missionierungsversuchen, zwischen Spruchweisheiten und erdiger Erotik pendelt Thomas Sautners neuer Roman mit dem irritierenden Titel: „Die Erfindung der Welt.“ Irritierend, weil die Welt ja schon da ist und nicht erst erfunden werden muss, sie kann bestenfalls vermessen werden, aber diesen Titel hat bereits Daniel Kehlmann beansprucht. Und bei ihm ist auch drinnen, was draufsteht.
Der Vorhang geht auf und Thomas Sautner zeigt eine Komödie in fünf Akten. Die handelnden Personen:
Eine Schreiberin von Unterhaltungsromanen, Aliza Berg ist ihr Pseudonym; ein adeliges Ehepaar, Gräfin Elisabeth (Elli) und Graf Leopold von Hohensinn; eine autarke, eigenwillige Lebensgenießerin, Kristyna Janouch, die, wie so schon andere Romanfiguren Sautners, im Wald lebt und sich die Liebhaber nimmt, wie sie vorbei kommen. Weiters ein anfangs stummer Waldbewohner, Jakob, den sich die Gräfin zum Liebhaber nimmt; ein philosophischer Zwerg, eher skurril als unheimlich, aber offenbar aus der Vergangenheit oder vielleicht auch aus der Zukunft nach Litstein geweht worden, wo die Bühne aufgebaut ist, er nennt sich Fred; schließlich einige Bewohner von Litstein, weiblichen und männlichen Geschlechts, und die Natur.
Ja, die Natur, das ist die wahre Freundin des Autors, Fuchs und Has‘ auf dem Boden, Falke und Adler in der Luft, die Blumen und Pflanzen, Bäume und Büsche, allen widmet er wunderbare Beschreibungen, sodass das Publikum im Pawlatschentheater bald sein Interesse an den recht gewöhnlichen Zweibeinern verliert und sofort hinaus in die Natur eilen will. In den Wald, in dem sich Graf Leopold gerne herumtreibt, auf die Wiese, auf der Gräfin Elli mit (unter oder auf) ihrem Jakob liegt, die Lichtung, in der Kristyna lebt, die Schreiberin Alicia, die ihr gar nicht sympathisch ist, vertreibt, aber manchmal, und tatsächlich nicht immer, auf den Grafen Leopold wartet.
Klar, worin liegt denn der Sinn des Lebens – eine der Rätselfragen im Roman –, als darin, sich zu paaren und zu vermehren. Das muss auch die Puritanerin zugeben, die Beschreibungen von Kopulationsszenen meist etwas hoppertatschig findet.
Mit dem Vermehren wird es ohnedies nichts mehr, weil Elli und Leopold und wohl auch Kristyna schon in der Mitte des Lebens angelangt sind, auch Aliza ist nicht viel jünger. Sie ist aber ganz Seele, der Leib nur eine Hülle, denn sie würde gern mit Peter dem Trafikanten von Litstein, der ihre Romane in der Auslage präsentiert, aber der hat eine Frau und die ist – wirklich bitte – gelähmt, doch meist guter Laune und lädt Aliza gar zum Kaffee in die Familienstube. Den beiden anderen Paaren jedoch zittert das Fleisch und pochen die Herzen. Immer wieder von neuem.
Was noch nötig ist für ein vollständiges Theaterstück, ist ein Vorspiel. Dieses dient dem vollen Verständnis und erreicht als Brief eines Unbekannten die Autorin Aliza. Die Unterschrift ist lediglich: G. Diese(r) G lädt Aliza ein, in Litstein die Welt zu erfinden und darüber einen Roman zu schreiben. An Auftragsarbeiten ist Aliza nicht gewohnt, sie wehrt sich, überzeugen kann sie dann der üppige Vorschuss auf dem Konto. Sie packt ihre Sachen und fährt nach Litstein, darf im Schloss Hohensinn wohnen und ist ein Zeitlang recht innig mit Elli. Doch als diese dann mit Jakob auf der Wiese liegt und ihr Herz pocht (sic), ist es vorbei mit der Frauenfreundschaft. Das Geheimnis wird nicht geteilt. Gräfin Elli Hohensinn zeigt sich nicht auf Facebook
Den Grafen tangiert weder Freundin noch Freund, denn er spielt, falls ihn die Eigenwillige im Forsthaus nicht zulässt, gern den Lausbuben, weil er sowohl etwas dagegen hat, dass sein Wald als Naturschutzgebiet beschildert wird, da kämen nur Scharen von Leuten, die durch sein Revier trampelten, meint er, als auch den unglücklichen Eiern im Supermarkt ein Ende setzen will. Gern wollte er sich an einem schönen Aussichtspunkt eine Hütte bauen lassen. Als er begriffen hat, dass es ihm nur darum geht, aus der Tür zu treten, um den Morgen oder die Sonne zu begrüßen, verzichtet er auf den Rest und lässt nur die Türe errichten. Genug der Details! Um sich zu unterhalten, muss man selbst lesen, mit dem Autor zwischen Leib und Seele, Himmel und Erde oszillieren und, dies ohne ihn, nach dem Verfasser der Sinnsprüche und -gedichte suchen, der womöglich ein japanischer Weiser war. Er wird unauffindbar bleiben, Tarimoko Son ist Thomas Sautner.
Was Aliza, die Romanautorin im Roman, sieht, hört, spricht und erlebt, erzählt sie selbst. Alles, was sonst noch passiert, und der Autor und Welterfinder Sautner will, dass passiert, erzählt er als über allem schwebender Geist. Oder ist er G. Achtung, lieber keine Spekulationen, sonst wird’s blasphemisch. Sautner liegt nichts ferner als das, er verfällt lieber dem dampfenden Kitsch, lässt Graf und Gräfin zugleich, doch örtlich getrennt, ins Himmelreich oder sonst wohin eingehen, wobei der Graf sich ohne Aufwand verabschiedet, die Elli aber noch schnell einen Liebesbrief schreiben muss, so lang und so triefend, wie ihn keine schwärmerische Teenagerin zustande bringt. Auch Kitsch kann Kunst sein. Am Ende aber taucht Fred noch einmal auf und löst gleich drei Rätsel, wovon eines eben jenes ist, wer denn die Welt erfunden habe. Sicher nicht Aliza Berg, deren Roman in Litstein mit Spannung erwartet wird.
Thomas Sautner garniert seinen unterhaltenden Roman über das Leben mit Tiefsinn und schmückt ihn mit zauberhaften Naturschilderungen. Dass er scheinbar genau weiß, was Liebe ist, dieses so vielfältige, doch im Grunde undefinierbare Gefühl, mit dem Begehren verwechselt, mag ihm verziehen sein. Geschichten erzählen kann er, und das ist gerade in Zeiten wie diesen, da Covid-19 Leben und Lieben auf ein Minimum reduziert, wichtig. Die Menschen brauchen Geschichten, um das Labyrinth, in dem sie umherirren, zu verstehen.
Thomas Sautner: „Die Erfindung der Welt“, Picus 2021. 408 S. € 24,00. Auch als E-Book erhältlich.