Guillaume Musso: „Ein Wort, um dich zu retten“
Der fleißige Autor Guillaume Musso gehört zu den beliebtesten Autoren Frankreichs. Zwar haben ihn die Literaturkritiker*innen bisher ignoriert - zu leicht verdaulich, zu wenig stilistisch ausgefeilt, doch die Leserinnen ficht das nicht an. Mit seinem jüngsten, mit Krimi-Effekten garnierten Roman, scheint sich nun das Blatt zu wenden. Die Großkritiker haben Guillaume Musso zur Kenntnis genommen, wenn auch nicht mit tönendem Applaus. „Ein Wort, um dich zu retten“ – der deutsche Titel ergibt wieder mal keinen Sinn, im Original heißt der Roman „La Vie secrète des écrivains“, also „Das geheime Leben der Schriftsteller“ – ist nicht unbedingt Pulitzer Preis verdächtig, doch um eine Bahnfahrt von Wien nach Bregenz zu verkürzen, recht brauchbar. Danach kann man den Roman großzügig der Sitznachbarin für die Rückfahrt spendieren.
Der Pulitzer Preis, der, weniger spektakulär, auch in der Kategorie „Literatur, Theater und Musik“ verliehen wird, spielt also im Leben Guillaume Mussos keine Rolle, sehr wohl aber in der Karriere des Schriftstellers Nathan Fawles, der geheimnisumwitterten Hauptfigur in Mussos jüngster Seifenblase. Der erfolgreiche Schriftsteller hat den begehrten Preis erhalten, was ihn nicht davon abhielt, mit einem Schlag mit dem Erzählen aufzuhören und sich in die Einsamkeit zurückzuziehen. Seit 20 Jahren lebt er auf der Mittelmeerinsel Beaumont, wenig beachtet von den Insulaner*innen, die sich auch von seiner Prominenz nicht beeindrucken lassen. Die Insel ist eine geschlossene Gesellschaft, jeder kennt jeden, um Tourist*innen wird nicht geworben, die Außenwelt soll draußen bleiben, die einsamen Buchten und der romantische Sonnenuntergang gehören den Bewohner*innen. Und natürlich auch der blühende Klatsch, an dem sich der Eremit Fawles nicht beteiligt. Das Rätsel um die Ursache von Fawles Ausstieg aus dem Dichterleben ist der eine Handlungsstrang, doch Nathans Einsiedlerleben wird durch eine Journalistin gestört, die zwar kein Interview fordert, das er ohnehin nicht gibt, ihn aber umgarnt, um das Geheimnis seiner Schreibverweigerung aufzudecken. Mit ihren Recherchen ist sie ziemlich weit vorgedrungen und bald ist zu ahnen, dass ihr Interesse ganz persönlichen Gründen entspringt.
Ist Fawles inzwischen schon ein Alteingesessener auf Beaumont, so ist der junge Raphaël Bataille ein Zugereister. Er zieht am zweiten Strang der verwickelten Geschichte, in der letztlich alles mit allem zusammenhängt.
Auch Raphaël ist ein Schriftsteller, oder eher, will einer werden und hat einen Job in der Buchhandlung der Insel angenommen, deren Besitzer sich nicht mehr wirklich um sein Geschäft kümmert und Raphaël Zeit zum Träumen und auch zum Schreiben lässt. Ein Großteil der Geschichte wird nämlich von ihm quasi zeitgleich erzählt. Nur dann, wenn der Jungspund unmöglich an zwei Orten gleichzeitig sein kann, greift ein allwissender Erzähler ein. Der ist es auch, der Zitate berühmter Autor*innen an den Anfang jedes Kapitels, noch vor den täglichen Wetterbericht, stellt und im Text Referenzen zur Weltliteratur herstellt. Aber er ist nicht Guillaume Musso, sondern ein anderer, eben der Lückenfüller, wenn Raphaël nicht anwesend war. Musso Nummer 2 schreibt auch das erklärende Nachwort und er darf auch etwas pikiert über die Kritiker reagieren, die mit leicht lesbarer Unterhaltungsliteratur nichts anfangen können. Musso Nummer eins kümmert die Missachtung der Großkritiker weniger: „Ich habe keine versteckten Frustrationen, die Dinge laufen gut“, sagt er im Interview. Wie auch, bei 32 Millionen verkaufter Exemplare allein in Frankreich. Auch im deutschsprachigen Raum findet er genügend Leserinnen, alle seine 16 Romane sind bereits übersetzt und im Piper-Verlag veröffentlicht.
Und dann gibt es auch noch die Krimihandlung, wenn die beschauliche Idylle plötzlich gestört wird und die Insel von der Festlandpolizei tatsächlich geschlossen wird. Niemand darf herein, niemand kann hinaus. Ein Mord ist geschehen, ein grausamer unerklärlicher Mord: Eine übel zugerichtete Frauenleiche verunziert, an einen Baum genagelt, die malerische Bucht unter dem Felsabsturz. Ein gefundenes Fressen für den werdenden Schriftsteller, der nicht nur selbst über das Geschichtenerzählen reflektiert, sondern sich im Lauf der Handlung auch mit seinem Vorbild, dem Eremiten Nathan Fawles, über das Schreiben unterhält.
Erste Voraussetzung für einen Schriftsteller ist ein gutes Sitzfleisch.
Dany Laferrière, Haiti: „Tagebuch eines Schriftstellers im Pyjama.“ (Wunderhorn Verlag, 2015).
Noch ein Dichterzitat aus Mussos (welches, 1 oder 2, auch immer) Schatzkästlein? Gerne:
»Was ist ein guter Roman?«
»Sie kreieren Personen, die Sympathie und Liebe bei Ihren Lesern wecken. Anschließend toten Sie diese Personen und verletzen dadurch Ihren Leser. Der wird sich dann immer an Ihren Roman erinnern.«
John Irving, muss hoffentlich nicht vorgestellt werden. Zitiert wird von Musso nach einem Interview.
Eines noch, weil‘s so schön ist:
Die Höll‘ ist los,
All ihre Teufel hier!
William Shakespeare: „Der Sturm“.
Zitate und die in den Text eingeflochtetenen Bezüge und Assoziationen sind im Anhang, peinlich genau mit bibliografischen Angaben versehen, vermerkt. Wohlweislich erwähnen Musso & Musso nicht, dass der Roman über einen Schriftsteller, den ein anderer Schriftsteller ausspioniert, um aus dem Geheimnis einen Roman zu schreiben, fatal an Joël Dickers dickleibiges Opus „Die Wahrheit über Harry Quebert“ (Piper 2013, 6. Auflage) erinnert, das mit Preisen überhäuft worden ist. Musso sagt es immer wieder, er will gelesen werden. Auflagen sind ihm lieber als Preise. Immerhin war er aufgrund der Aufdeckung des „geheimen Lebens der Schriftsteller“ in der renommierten Literatur-Sendung „La Grande Librairie“ (LGL) im französischen Fernsehen zu Gast.
Vermerkt ist auch, wie gesagt, der tägliche Wetterbericht, die Hemden, Jacken und Hosen, die die verschiedenen Männer täglich überziehen. Frauen kommen kaum vor, nur die junge Französin Mathilde Monney, sie hüllt sich in leichte Sommerfähnchen und, der September auf der Insel ist noch badewarm, in einen knappen Bikini. Sie ist der eigentliche Motor der Geschichte, denn sie lässt nicht locker, bis Nathan in ihre Falle tappt und erzählt, warum er aufgehört hat zu schreiben. Das wollen wir Leserinnen natürlich auch wissen, so sitzen wir gespannt im Zug nach Bregenz oder Zürich und schlingen die leichte Kost hinunter, bis wir alles wissen, wer die Täter sind, und wer die Opfer und dass nichts ist, wie es scheint und die Guten unter der Wohltätermaske die wahren Teufel sind.
Noch einmal in die Schatztruhe gegriffen:
Eine Person [. . .] ist ein Schatten, in den wir niemals vordringen können, ein Schatten, von dem wir uns abwechselnd mit der gleichen Berechtigung vorstellen können, dass in ihm Hass glüht oder Liebe.
Marcel Proust, „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“
Ist doch fein, dass uns der Haubenkoch auch etwas zum Beißen serviert.
Guillaume Musso: „Ein Wort, um dich zu retten“, Titel des französischen Originals: „La Vie secrète des écrivains“, übersetzt von Eliane Hagedorn, Bettina Runge, Pendo-Piper 2020. 336 S. € 17.50.
Die eingestreuten Dichterworte sind dem Roman entnommen.