Christoph Poschenrieder: „Der unsichtbare Roman“
Der neue Roman von Christoph Poschenrieder kreist, überaus sichtbar, um den Autor Gustav Meyrink, der vom Außenamt in Berlin gegen Ende des 1. Weltkrieges einen sonderbaren Auftrag erhält. Er soll einen Roman scheiben, aus dem deutlich hervorgeht, wer am Ausbruch des Krieges schuld ist. Meyrink nimmt den Auftrag an, der braucht das Honorar. Poschenrieder sucht den Roman und findet einen Autor, der heute kaum mehr bekannt ist. Wie immer versteht es Poschenrieder, ein ernstes Thema mit leichter Hand und hintergründigem Humor anzupacken. Das Lesevergnügen ist garantiert.
Der erste Satz ist der Duft über der Kaffeetasse, das Knistern der Semmel, wie sie hier in Bayern [Anm.: und auch hier in Österreich] sagen. Keine Garantie, aber eine Verheißung. Für den Autor noch mehr als für den Leser. Jenseits des ersten Satzes liegt die Terra incognita, der Dschungel, die der Autor wie ein Humboldt oder ein Livingstone zu erobern hat, Machete in der Hand, feindliche Pfeile um die Ohren. Der Leser aber lässt sich in der Sänfte durch diesen Dschungel tragen und das Buch zugeklappt! – schnell ist er wieder draußen.
Dazu darf ich sagen, dass ich gar so schnell nicht wieder draußen sein werde. Poschenrieders „Unsichtbarer Roman“ birgt zu viele Ebenen und Anspielungen, ist nicht zuletzt erschreckend aktuell, auch wenn die reale Handlung samt den fiktionalen Erweiterungen vor gut 100 Jahren spielt, um flugs aus der Sänfte zu hüpfen. Autor Poschenrieder hat so oder so einen feinen Platz im Bücherregal, einen, den ich ohne Leiter schnell finde, doch wo ist nur mein „Golem“? Ein Werk führt zum anderen und die Leserin bleibt gebannt in ihrer Sänfte, bis sie die Sitzknochen schmerzen.
Meyrink schmerzen nicht nur die Sitzknochen, wenn er an den unmöglichen Auftrag denkt, es will ihm kaum der erste Satz einfallen. Bald hat er so viel Makulatur erzeugt, dass das Farbband seiner Schreibmaschine bereits löcherig und durchscheinend und – es ist Krieg – neues keines zu bekommen ist. Also schreibt er munter weiter, denn plötzlich fließen ihm die Sätze nur so aus den hämmernden Fingern, der Stapel mit dem vollgetippten Papieren wird höher und höher, während sich der der leeren rasant verkleinert.
Es soll ja immer noch dichtende Menschen geben, die gerne auf der Tastatur ihrer alten Schreibmaschine mit den verbogenen Typenhebeln klopfen, und wenn sie dann gerade kein neues Farbband zur Hand haben, aber der Fluss der Gedanken unaufhörlich rauscht und gurgelt, dann erscheint der Text eben farblos auf dem Papier. Autor Poschenrieder lässt die Herren im Auswärtigen Amt nicht zugeben, dass sie im von M. brav nach Berlin geschickten Papierstapel kein Wort lesen können und daher nur stumm nicken. Das mag der Phantasie und dem verschmitzten Humor des Erzählers entsprungen sein, dass Gustav Meyrink diesen exklusiven Auftrag erhalten hat, ist jedoch belegt. Er hat ja auch den Vorschuss kassiert, nur das Werk ist eben unsichtbar geblieben. Der Bericht darüber jedoch ist real und aktuell und gar köstlich zu lesen.
Christoph Poschenrieder: „Der unsichtbare Roman“ Diogenes 2019. 271 S. € 24,70.