Wim Wenders: „Grenzenlos / Submergence“
Grenzenlos“ ist der deutsche Titel des jüngsten Filmes von Wim Wenders, gedreht nach dem Buch „Submergence“ („Eintauchen“) des ehemaligen Kriegsreporters J. M. Ledgard. Der eingedeutschte Titel hat mit dem Filminhalt wenig zu tun, allerdings wird auch nicht ganz klar, was der Regisseur tatsächlich wollte. Liebesromanze oder Diskussion existenzieller Themen? Die große Romanze jedenfalls endet in den Tiefen des Ozeans und in den Gefangenenlagern von islamistischen Terroristen. Alicia Vikander, James McAvoy und das Meer spielen die Hauptrollen.
Sie, Danielle / Dany (Alicia Vikander), ist Biomathematikerin und erforscht die tiefsten Tiefen des Ozeans, das lichtlose, eisigkalte Hadopelagial oder Hadal. Auch wenn kein Licht pflanzliches Leben möglich macht, so gibt es doch tierisches, etwa den Borstenwurm. Er, James (James McAvoy), ist Mitarbeiter des britischen Geheimdienste MI6, der, als Wasserbauingenieur getarnt, nach Somalia entsandt wird, um eine Terrorzelle des Dschihad auszuheben. Beide bereiten sich auf ihren Einsatz in einem schicken Hotel am Strand der Normandie, dort wo 1944 die Truppen der Alliierten gelandet waren, vor, und wie es zu erwarten ist kommen sie einander immer näher und näher, bis sie, trotz ihrer unterschiedlichen Auffassung vom Leben – sie eine naive Romantikerin, er ein realistischer Zyniker – rettungslos ineinander verliebt sind.
Dany ist offen und ehrlich, erklärt ihm genau, worum es ihr geht, bombardiert ihn mit mathematischen und chemischen Formeln und erzählt auch, dass sie sich vor der Einsamkeit im lichtlosen Gefängnis in mehr als 10 km Tiefe fürchtet. James gibt sich als Ingenieur aus, der nach Afrika reist, um Brunnen zu bauen. Von seiner gefährlichen Tätigkeit erzählt er nichts.
Der Abschied ist herzzerreißend, und damit endet die Beziehung, die Beziehung ist abrupte abgerissen. Sie besteigt mit ihrer kleinen Crew das Schiff, das sie zu den Lofoten bringen wird und wartet vergebens auf einen Anruf oder ein SMS. Endlich ganz unten angelangt, versagt plötzlich das Energiesystem. Das Team ist gefangen auf dem Meeresgrund, es gibt kein zweites U-Boot, das diese Tiefen erreichen kann, um Rettung zu bringen.
Auch James kann nur noch in Gedanken bei ihr sein, dschihadistische Terroristen haben ihn gefangen genommen und in ein finsteres Loch unter der Erde gesteckt. Sie wird es nie erfahren. Im Prolog sieht man, ohne noch zu wissen, worum es geht, wie sich ein gefolterter, ausgezehrter Mann mühsam zu dem plötzlich hereinbrechenden Lichtstrahl wälzt, ein Loch entdeckt, durch das er die Hand streckt. Gegenschuss, ein kleiner Bub spielt mit einem Ball, sieht die Hand, drückt sie und hüpft fröhlich weiter.
Nach dem Prolog sind diese zwei attraktiven, erfolgreichen Menschen in der herrlichen Küstenlandschaft zu sehen und man weiß schnell: Das kann nicht gut gehen. Die Handlung scheint etwas platt, zumal nicht ganz klar wird, worauf Regisseur Wenders eigentlich hinaus will: Plädoyer für die Natur? Kritik an Terrorismus und Gewalt? Lied der Liebe? Weil er offensichtlich selber nicht so sicher war, ist der Film mit fast zwei Stunden auch zu lang, zumal das Ende von Anfang an feststeht: Zusammenkommen können sie nimmermehr. Auch die letzten Einstellungen, ungemein tröstlich und schön, zeigen nicht wirklich ein Ende. Man darf sich vorstellen, was man gerne möchte.
Alicia Vikander ist eine schöne Frau, James McAvoy ein sympathischer Mann; Dany ist voller Enthusiasmus und will unbedingt höchste Anerkennung für ihre Forschungsarbeit, James ist ein guter Unterhalter, überaus belesen und versucht sich auch noch als gequälte Kreatur durch das Bild seiner neuen Liebe am Leben zu erhalten. Erfreuen kann ich mich auch an den Schauplätzen über und unter dem Meeresspiegel, vor allem die großartigen Tiefseeaufnahmen machen das Ausharren im Kino wert. Wenders spielt mit dem Wechsel von Licht und Dunkel, zwischen der Liebe am sonnigen Strand und der Einsamkeit in den finsteren Tiefen des Meeres und der Gefangenschaft im Erdloch, zwischen der Schönheit der Natur und der Grausamkeit der Menschen, zwischen Leben und Tod. Bald bleibt dem Regisseur nichts anderes übrig als der ständige Wechsel zwischen den Qualen des Gefangenen und dem sehnsüchtigen Warten der Tiefseeforscherin auf ein Lebenszeichen von ihm. Parallelmontagen sind das Medium, um den Zuschauerinnenzu zeigen: Da sind Zwei einsame Herzen, die nichts voneinander wissen und leiden, furchtbar leiden.
Wim Wenders ist ein hervorragender Dokumentarfilmer („Pina“, „Das Salz der Erde“), auch ein begabter Bildermacher, doch kein begnadeter Erzähler. Deshalb ist „Submergence“ kein Meisterwerk, auch wenn die überflüssigen 20 Minuten herausgeschnitten werden. An den letzten heißen Sommertagen jedoch eindurchaus erfrischendes Vergnügen.
Wim Wenders: „Grenzenlos / Submergence“, mit Alicia Vikander, James McAvoy. Kamera: Benoît Debie. Ab 24. August im Kino, Verleih: Filmladen.