Francofonia – Ein Essay von A. Sokulov
Nach der Zeitreise durch die Eremitage in St. Petersburg, „Russian Ark / Russische Arche“, einem Film, der 2002 in nur einer Einstellung gedreht worden ist, widmet sich der russische Regisseur und Drehbuchautor Alexander Sokurov nun dem Louvre in Paris. Im Film „Francofonia“ diskutiert Sokurov unterschiedliche Ideen und Auffassungen über die Bedeutung von Kunst, im Besonderen von Museen. Ein ungewöhnlicher, spannender Film.
Eine Nacht im Museum. Ein Mann (Autor Sokurov) spaziert träumend durch den Louvre. So kann er sich erlauben, auf Chronologie und Logik zu verzichten, Fantasie und Tatsachen zu mischen und über die Rolle eines Museums, über die Aufgaben und Möglichkeiten der Kunst (-Sammlung) und über Menschsein und Menschlichkeit zu meditieren.
Schon zu Beginn macht Sokurov mit Bildern von Tolstoi und Tschechov klar, dass es ihm um das kulturelle Erbe geht. Er selbst bringt sich als Autor und Regisseur ins Bild. Über Skype spricht er mit dem Kapitän eines Containerschiffs, das in stürmischer See den Inhalt eines Museums retten soll. Wenn der Kapitän nicht bereit ist, den Ballast an Kunst abzuwerfen, wird das Schiff untergehen. Keine guten Aussichten und absolut keine Verklärung der vergangenen Jahrtausende: Es ist schwierig, „die Kunst über den Ozean der Zeit zu schleppen“, meint der Regisseur in einer Einblendung seiner Person.
Im Zentrum des so eigenwilligen und immer wieder überraschenden Films steht die Geschichte des Louvre in der Zeit der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten. Zwei Männer, Deutscher der eine, Franzose der andere, Humanisten jedoch beide, stehen für die Ereignisse von 1940: Graf Franz Wolff-Metternich (dargestellt von Benjamin Utzerath), der als Kunsthistoriker und Offizier der Wehrmacht für den Kunstschutz (oder -Raub) in Frankreich zuständig ist und Jacques Jaujard (Louis-Do de Lencquesaing), der Direktor des Louvre. Als einer der wenigen Verantwortlichen hat er Paris nicht verlassen, ist in seinem Museum geblieben. Im Einvernehmen mit Joujard entschied sich Wolff-Metternich, die Schätze des Louvre nicht zu verschleppen sondern zu beschützen. Inmitten des Puzzles von Erinnerungspostkarten, fantastischen Szenen, geträumten Begegnungen, skurrilen Gedanken und zündenden Ideen zeigt Sokurov das Duell und die stetige Annäherung der beiden Männer, die die Achtung vor den Kunstwerken einigt.
Doch die Hoffnung, die Menschheit durch die Kunst zivilisieren zu können, Brutalität und Gemeinheit zu bannen, ist vergeblich.
Ein anspruchsvoller, komplexer Film eine intellektuelle Mixtur aus Fakten und Fiction, eine cineastische Installation, eine Tragödie im Gewand eines Clowns, ein Blick auf die europäische Kultur voller Melancholie.
Fazit: Absolut sehenswert.
Alexander Sokurov: „Francofonia“, Österreich-Premiere bei der Viennale ’15. Ab 7. Jänner 2016 in den Kinos. Im Verleih von Thimfilm. Bei den Filmfestspielen von Venedig 2015 ist „Francofonia“ im internationalen Wettbewerb um den Goldenen Löwen mit dem Fedeora-Preis für den „besten europäischen Film“ ausgezeichnet worden.