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Kleber Mendonça Filho: „Bacurau“, Gartenbaukino

Abschied von der verstorbenen Dorfältesten in Bacurau.

Mit seinem Ausstatter Juliano Dornelles hat der brasilianische Regisseur und Drehbuchautor Kleber Mendonça Filho seinen jüngsten Film, „Bacurau“, verwirklicht. Nach „Aquarius“, 2016, beschäftigt er sich wieder mit den Zuständen in Brasilien. Diesmal aber nicht konkret und eindeutig, sondern, alle Genres negierend, metaphorisch mit einem Fiction-Western oder Banditen-Thriller oder einer Heimat-Dystopie oder einem Grusel-Mystery-Märchen oder alles gemeinsam. Spannend, beklemmend, komisch und auf der Großleinwand im Wiener Gartenbaukino auch besonders schön.

"Wenn du gehst, geh in Frieden", wünschen die Dorfbewohner*innen.Bacurau wird in Brasilien der letzte Bus genannt, doch auch eine Nachtschwalbe, die die Dunkelheit liebt, es versteht, sich zu tarnen, aber ihre Stimme erhebt, wenn sie bemerkt werden will, heißt so. In den Film eintauchend, wird man schnell verstehen warum das fiktive, geheimnisvolle Dorf, im Sertão, der wüstenartigen Landschaft im Binnenland Brasiliens, so genannt ist. Was dort passiert, liegt in der Zukunft. Das scheint mir aber nur eine Schutzbehauptung zu sein. Möglich, dass es Bacurau doch gibt, mit anderem Namen, in einem anderen Land.

In dieser Zukunft, die für die Zuschauerin sehr schnell zur Gegenwart wird, so vereinnahmend ist der Film, Die Filmemacher. Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornellesdroht dem Dorf, umgeben von Kakteen- und Buschwäldern, Ungemach, es trocknet aus. Ein jüngst errichteter Staudamm ist schuld, dass das Wasser für Bacurau mit dem Tankwagen gebracht werden muss. Die Dorfbewohner*innen sind wütend, doch auch im Dorf selbst scheint nicht alles comme il faut zu sein. Da gibt es eine Pille, die sich Frauen wie Männer regelmäßig auf die Zunge legen, im historischen Museum werden alte Geschichten von Verbrechen erzählt und Schusswaffen gesammelt, die Filme, die den (ehemaligen?) Gangster Pacote (Thomás Aquino) zeigen, werden mit Applaus bedacht. Pacote ist ein anerkanntes Dorfmitglied, was er sagt, wird gehört.

Doch das Mysterium kommt von außen: Als der Lehrer den Schülern ihr Heimatdorf auf dem Tablett zeigen will, ist es auf dem Satellitenbild nicht mehr zu sehen. Ausgelöscht. Der nächste Tankwagen kommt mit Schusslöchern an, und die Bewohner*innen haben alle Hände voll zu tun, das lebenswichtige Nass einzufangen, das unverhofft aus dem Sarg der Dorfältesten, mit deren Begräbnis der Film beginnt, strömt. Viel später erscheint ein Laster mit ungezählten schön polierten Särgen, die auf der staubigen Straße sorgsam gestapelt werden.
Der entmeschte Jäger Michael (Udo Kier).Der schmierige Bürgermeisterkandidat, Tony jr. (Thardelly Lima) bringt Wahlgeschenke: Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, nicht zugelassene Medikamente, wer den Wassertank beschossen hat, will er nicht erklären. Soll das Dorf bestraft werden, weil es Tony jr. erst wählen wird, wenn das Wasser wieder fließt? Wer aber hat die als Ufo verkleidete Drohne geschickt, die Alt und Jung verfolgt und beobachtet? Es wird immer unheimlicher in Bacurau. Und auch bedrohlicher. Von der entfernten Farm werden die ersten Mordopfer gemeldet, eine Horde Pferde galoppiert durch den Ort, die Bewohner kostümieren sich als Cowboys, Funk- und Internetverbindungen fallen aus und später auch der Strom. Männer, Frauen, Kinder werden sukzessive ermordet. Bacurau do rabo branco, die  geheimnisumwitterte Nachtschwalbe. ©  Marcelo Prest / free

Bald kennen die Dorfbewohner die Mörder, weiße reiche, reiche Safaritouristen, die mangels Tieren Menschen jagen. Der Anführer ist Michael (Udo Kier), ein Deutscher, der nicht hören will, wenn ihn die Amerikaner Nazi schimpfen. Menschenverachtend sind sie alle diese Herrenmenschen, die nach jeder blutigen Leiche gesteigerte Lust auf neues Blut verspüren. Die Jäger rücken immer näher. Schon stehen einander die Ärztin Domingas (Sônia Braga, die Mendonça Filho bereits in „Aquarius“ als Hauptdarstellerin eingesetzt hat) und Michael Aug in Aug gegenüber, doch einmal noch kann sie ihn durch ihren Blick bannen.
Michael und Domingas Aug in Aug (Udo Kier, Sônia Braga).Jetzt aber rüstet die Dorfgemeinschaft, heterogen, wie die brasilianische Bevölkerung, doch in Freud und Leid vereint, zum Gegenschlag. Der androgyne Rebell Lunga (Silvero Pereira), der versucht hat, den Staudamm zu sprengen, wird aus seinem Versteck geholt und dann schwenkt die Kamera wieder in den Wald, zu den mit riesigen Feuerwaffen und scharfen Messern ihrer Lust am Töten frönenden Mördern. Sie werden das Dorf ausrotten. Es ist doch keine Elite, die da wohnt, keine weiße Crème der Gesellschaft, zu nichts zu gebrauchen, denken die Jäger. Mit gezückten Waffen marschieren sie in Bacurau ein, doch das Dorf ist leer, bis auf einen streunenden Hund ist nichts Lebendes mehr zu finden. Das gespannte Publikum im Kinosaal weiß, dass so der Film nicht enden kann, nicht enden wird. Der dramatische Showdown. In der Mitte in blutiger Jacke: Sônia Bragas als Ärztin Domingas; rechts außen: Silvero Pereira als Lunga. Dystopie hin, Terror und Diktatur her, in Bacurau wissen sich die Menschen zu wehren, ziehen alle an einem Strang. Und für diesen Showdown ist viel Trauben-, Tomatensaft und rote Farbe notwendig.

Den Film als Gleichung für die Zustände in Brasilien und weiten Teilen der Welt zu interpretieren, ist nicht schwer, "Bacurau", Poster. Der abgebildete Flug der Stare, Murmuration, ist tatsächlich zu sehen. auch wenn die Geschichte manchmal unheimlich, manchmal aufwühlend und dann wieder, vor allem durch die Massenszenen und die Kamerafahrten durch die Landschaft, wunderschön ist. Einwickeln lassen darf man sich davon nicht.
Mendonça Filho und Juliano Dornelles haben einen bösen, aufrüttelnden Film gedreht, einen wichtigen Film.
Die Dreharbeiten waren kaum fertig, wurde in Brasilien das Kulturministerium abgeschafft, nicht nur für die brasilianische Filmindustrie eine schwere Wunde, wenn nicht der Todesstoß.

Kleber Mendonça Filho und Juliano Dornelles: „Bacurau“, Drehbuch und Regie. Kamera: Pedro Sotero. Mit Sônia Braga, Udo Kier, Silvero Pereira und vielen anderen. Ab 3. Juli 2020 exklusiv im Gartenbaukino.
Fotos: © 2019 Victor Jucá, © Cinemascópio