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Christian Petzold: „Undine“, (k)ein Märchen

Das Liebespaar Johannes und Undine (Franz Rogowski, Paula Beer).

Zwischen Magie und Realität entwickelt Christian Petzold eine Geschichte über die Liebe, angelehnt an den Mythos von Undine, dem Wassergeist. Poetisch und prosaisch zugleich ist die Liebesgeschichte zwischen Undine, der Architekturhistorikerin beim Berliner Senat (Paula Beer,) und dem Industrietaucher Christian (Franz Rogowski). Ein hinreißendes Paar über und unter Wasser. Im Wasser beginnt auch diese schöne Liebe.

Paula Beer ist Undine. © polyfilmIm Märchen von Friedrich de la Motte Fouqué (1777–1843) heiratet der Ritter Huldbrand das Findelkind Undine, die von ihrem Vater an Land gesandt worden ist, damit sie eine menschliche Seele erlangt. Doch das Wasserwesen benimmt sich sonderbar, passt sich der Gesellschaft nicht an. Da wendet sich der Ritter wieder der verlassenen Braut zu. Undine muss zurück ins Wasser, kehrt aber noch einmal zurück, um den Ritter zu Tode zu küssen. Auch in den vielen anderen Versionen des Kunstmärchens muss Undine (oder ihre Doppelgängerinnen, wie Melusine, Rusálka) den untreuen Mann töten. Petzold wechselt die Perspektive, erinnert sich an Ingeborg Bachmanns Erzählung „Undine geht“ und lässt seine Undine auf Rache verzichten. SUndine, 1872 gemalt von John William Waterhouse. © gemenfreiie muss nicht mehr, sie will – nicht töten, sie will lieben.
Anfangs aber sprüht Undine Feuer. Die smarte Architekturhistorikerin sitzt zu einem letzten Gespräch mit ihrem Freund Johannes (Nachtigall! Bei Bachmann heißt Er, heißen alle Männer, Hans) im Garten des Cafés gegenüber dem Architekturforum in Berlin, wo Undine Gästen die Entwicklung der Stadt erklärt. Er will sie verlassen, hat eine andere. Sie verspricht, ihn zu töten. Wenn Darstellerin Beer ihre Augen funkeln lässt, glaubt man ihr, wartet gespannt auf den Mord. Der findet nicht statt, zumindest nicht jetzt, denn im Café, wo Undine verzweifelt hinter Johannes telefoniert, taucht der ihr unbekannte Christian auf, veruscht, mit ihr zu flirten.
Keine Chance, sie schickt ihn weg. Beim unfreiwilligen Abgang fällt Christian in eine Vitrine, Gläser stürzen klirrend, im sich ausbreitenden Tohuwabohu platzt das riesige Aquarium, und plötzlichen liegen die beiden nebeneinander im Wasser und lächeln sich an. Johannes ist vergessen, Christian ist da, und ganz anders als der Verflossene. Nicht nur ihre Liebe zum Wasser verbindet sie mit dem Taucher. Er respektiert Undine, schätzt ihren Verstand, verzichtet sogar auf eine schnelle Nummer, um im Bett ihren geplanten Vortrag anzuhören. Die Fernbeziehung verdichtet sich. Er arbeitet in einem Stausee, hat eine Assistentin, Monika (Maryam Zaree), die vielleicht auch mehr ist; Undine hat in Berlin zu tun. Doch so oft es möglich ist, fahren sie einander mit der S-Bahn entgegen, verbringen die freie Zeit im Hotel. Franz Rogowski ist Christoph, der Taucher. © polyfilmDoch Petzolds Undine, und das ist das Bezaubernde an dem Film, ist nicht nur eine selbstbewusste Frau von heute, sondern auch das mythische Wesen aus dem Wasser. Dorthin kehrt sie immer wieder zurück, anfangs mit Christian gemeinsam, später alleine. Und dann bekommt die Liebe Risse, Undine schwindelt ihn an, Christian bricht das Telefongespräch ab, und die schöne Liebesgeschichte nimmt eine überraschende Wendung.  Weiterzuerzählen würde den Zauber bannen.
Nahezu zu schön sind die Bilder (Kamera: Hans Fromm), zu bewegend die Geschichte. Ob das Ende bitter ist oder etwa doch tröstlich, mag die Zuschauerin selbst entscheiden.Undine geht (Paula Beer). © polyfilm
Begeisternd ist Paula Beers Spiel, die als Undine Gefühle mit dem ganzen Körper ausdrückt, die bewegte Mimik, entspannt, zornig, verliebt, traurig, eingeschlossen. Dass Jakob Matschenz als Johannes eher blass, weder anziehend nochl iebenswert wirkt, hat der Regisseur wohl so gewollt. In der Anfangsszene denke ich nur: Lass ihn doch gehen, der Kerl ist nichts wert. Erlösung: Mit Krach und einem Wasserschwall beginnt eine neue (echte) Liebe. Undine wird von Chriistoph um ihrer selbst willen geliebt, ist nicht mehr nur schmückendes Mittel zum Zweck. Doch was zu schön ist, macht leichtsinnig. Undine tischt aus schlechtem Gewissen eine Lüge auf.
Schön übrigens ist auch die Film-Musik. Der isländische Pianist Vikingur Óllafsson spielt Bach. Johann Sebastian natürlich, oder, noch genauer, Alessandor Marcello und J. S. Bach. Der, Bach, hat das Konzert für Oboe und Orchest, d-moll genannten Marcellos ( 1643–1747) für Cembalo bearbeitet. Ólafsson spielt das 2. Adagio daraus auf dem Klavier. Christoph geht ohne Ausrüstung in den Stausee. Er sucht Undine. © polyfilmDas will man immer wieder hören und darf auch einen ganzen Film lang. Bach passt immer, architektonisch, klar, ohne Banalitäten, wie Petzolds Film. Petzold schafft es auch, romantischer Poesie und märchenhafte Magie mit den harten Faken des Berufsalltags des Paares zu kontrastieren, ohne auch nur in die Nähe von kinidschem Kitsch oder verspieltem Arielle-Geplätscher zu geraten.
Schon als „Nachwuchsdarstellerin“ ist Paula Beer mit zahlreichen nationalen und internationalen Preisen überhäuft worden, für ihre Undine hat sie in Berlin, wo Petzolds Film zum ersten Mal gezeigt worden ist, den Silbernen Bären als Beste Darstellerin erhalten.
Filmplakat "Undine". © polyfilm Mit der Adaption der im 19. Jahrhundert hoch im Kurs gestandenen Geschichte der Wasserfrau haben sich, neben de la Motte Fouqué, unter anderen auch Achim von Arnim, E. T. A. Hoffmann, Oscar Wilde, der Komponist Albert Lortzing und schließlich auch Hans Christian Andersen mit dem Stoff auseinandergesetzt. Auch für das 20. Jahrhundert wären außer Ingeborg Bachmann andere Schriftsteller und auch Komponisten zu nennen, die sich dem Wassergeist genähert haben.
Regisseur Petzold denkt an eine Filmtrilogie über Figuren der deutschen Romantik, deren erster Teil mit Undine nun auch in die österreichischen Kinos kommt.

Christian Petzold: „Undine“, Regie und Drehbuch: Petzold; Kamera: Hans Fromm; Schnitt: Bettina Böhler. Mit Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree, Jacob Matschenz und anderen. Verleih: polyfilm. Ab Mittwoch, 1. Juli im Kino.