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Anja Salomonowitz: „Dieser Film ist ein Geschenk“

Daniel Spoerri; "Ich ordne nur Kochlöffel"

Der Titel ist ganz ernst gemeint. Der Film ist ein Geschenk, ein Geschenk an Daniel Spoerri und an das Publikum im Kinosaal, das dem bewunderten Künstler auf der Leinwand begegnen darf. Anja Salomonowitz hat gemeinsam mit Spoerri und ihrem jüngsten Sohn Oskar einen subtilen Film gedreht, bei dem leise gelacht und auch ein wenig geweint werden darf.

Daniel Spoerri an der Arbeit mit Oskar Salomonowitz. Alle Bilder © Anja SalomonowitzDie Geschichte beginnt mit einem roten Herz, einem gesprungen Herz aus Porzellan, das die Regisseurin während des Urlaubs ins Meer werfen will. Als Abschied. Doch es bleibt im Koffer und landet wieder in Wien. Auch in die Donau kann A. S. es nicht werfen, es will nicht weg von ihr, schließlich hat sie es nach dem Tod ihres Vaters in seiner Wohnung gefunden. Ein Erinnerungsstück. „Und dann“, hat sich Anja Salomonowitz gedacht:

Ich schenk das Herz einfach dem Spoerri. Er sammelt ja immer so Trödel und ich frag ihn, ob er es nicht brauchen kann.Federico Vecchi assisitiert Daniel Spoerri und den jungen Oskar.

So gelangt das Herz aus Porzellan zum Künstler Daniel Spoerri.
Der kann tatsächlich alle Dinge, die er findet oder geschenkt bekommt, gebrauchen und zu Bildern arrangieren. Er gibt „ihnen ihre Geschichte wieder oder schenkt ihnen einen neue“, wie er sagt. So versteht man auch seine „Fallenbilder“, sie erzählen Geschichten von Gebrauch und vom Flohmarkt, vom Schrottplatz, von vergangenen Zeiten oder nicht mehr im Diesseits lebenden Menschenkindern.
Dieses Bild ist ein Geschenk. Daniel Spoerri hat es mit dem gesprungenen Herzen in der Mitte für Anja Salomonowitz gemacht. Spoerri gibt also dem gesprungenen Herzen einen Rahmen und eine neue Geschichte und schenkt das Bild Salomonowitz. Und nun der Film als einfühlsames Gegengeschenk. Alles, Leben und Sterben ist ein Kreislauf: Kochen, Essen, Verdauen, Ausscheiden; Erzeugen, Gebrauchen, Wegwerfen, Sammeln, neu Zusammenfügen; Schenken und Nehmen. In Anja Salomonowitz Film ist der Tod ebenso anwesend wie das Leben. Spoerri, der mit hölzernen, blechernen, rostigen, fadenscheinigen, trockenen Objekten oder Resten von Objekten arbeitet, hat auch einen trockenen Humor. Der Blick auf die Filmbilder lässt ihn fröhlich werden, noch fröhlicher, als er meist ohnehin ist: „Ich sehe aus, als würde ich über Leben und Tod urteilen, dabei ordne ich nur Kochlöffel.“ Daniel Spoerri zu diesem Foto mit Anja Salomonowitz: "Ich bin etwas spoerrig" © Niki Wietzer

Daniel Spoerri arbeitet mit Hilfe seines Assistenten, Federico Vecchi, an seinen Assemblagen, kramt in seinen Erinnerungen, erzählt launig und anekdotisch, ist mit nahezu 90 Jahren ein Teil des lebendigen Kreislaufs. Daniel als Kind und Teenager bekommt Gesicht und Stimme des neunjährigen Oskar, der ungeniert und überzeugend in die Haut des in der Schweiz aufgewachsenen jungen Daniel schlüpft. Unsichtbar anwesend ist auch Oskars Großvater, Salomonowitz verstorbener Vater, der ihr das Kreislauf auslösende Herz aus Porzellan hinterlassen hat. Auch Filmerin Salomonowitz ist anwesend, nicht sichtbar, aber deutlich hörbar mit persönlichen Kommentaren aus dem Off. Wunderbar verschmelzen Gegenwart und Vergangenheit, Leben und Tod in diesem sehr persönlichen und poetischen Film.

Oskar denkt sich in den jungen Daniel hinein und erzählt dessen Erinnerungen.Anja Salomonowitz hat ihre eigene Form des Dokumentarfilms entwickelt. Bar jeder trockenen Belehrung, Akribie oder Fadesse wirken ihre Filme auf der emotionalen Ebene, einem Spielfilm gleich. Was wie ein privater Blick auf den Künstler Spoerri und in sein Atelier wirkt, ist zugleich eine Bestandsaufnahme gesellschaftspolitischer Realität und die Sensibilisierung durch das gefühlvolle Erzählen. Ich sitze nicht im Kinosaal, sondern mitten im Atelier neben Daniel Spoerri und Oskar Salomonowitz, die gemeinsam an Oskars erstem Fallenbild arbeiten, höre zu, wenn Daniel sinniert und Oskar erzählt, und denke über den Kreislauf von Werden und Sterben nach, und über den Zustand der Welt.

Es gibt Filme wie Briefe, Filme wie Lieder, Filme wie Gedichte, aber man hört selten von Filmen als Geschenk. Salomonowitz gibt uns einen Geschmack dafür, wie schön und notwendig es sein kann, einen Film zu verschenken.

Besser als der Filmemacher und Kritiker Patrick Holzapfel seine Vorschau im diesjährigen Viennale-Katalog beendet, kann ich es auch nicht.

Anja Salomonowitz: „Dieser Film ist ein Geschenk“, Drehbuch und Regie Anja Salomonowitz, Regieassistenz: Eleonora Camizzi, Dramaturgie: Roland Zag; Kamera und Originalton: Martin Putz; Musik: Bernhard Fleischmann; Sound Design: Veronika Hlawatsch. Mit Daniel Spoerri, Oskar Salomonowitz, Federico Vecchi. Verleih: Stadtkino im Künstlerhaus. Kinostartpremiere: 6. Dezember 2019.
Eine Art Matinee mit Anja Salomonowitz im Gespräch mit Alexander Horwath, 8.12.2019, 14 Uhr., Stadtkino im Künstlerhaus.