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C. Sciamma: Porträt einer jungen Frau in Flammen

Adèle Haenel (Héloise), Noémie Merlant (Marianne): Tanz der Blicke

Céline Sciamma begibt sich ins 18. Jahrhundert, nachdem sie sich mit dem Erwachsenwerden von weiblichen Teenagern beschäftigt hat. Drei Frauen leben einige Tage nach ihren eigenen Regeln. „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ (Original: „Portrait de la jeune Fille en Feu“) ist ein wunderbarer Film über das Begehren zweier Frauen, über die Kunst und weibliche Solidarität. Adèle Haenel, die bereits in einigen Filmen Sciammas zu sehen war, und Noémie Merlant brillieren als Héloise und Marianne.

Spaziergang am Strand bei ausnahmsweise ruhigem Wetter. Der Film hat einen Rahmen: Die Malerin Marianne unterrichtet junge Frauen in der Porträtklasse und erinnert sich an die Tage auf der bretonischen Insel und ihre Liebe zu Héloise. Diese, Tochter einer Gräfin (Valeria Golino), soll für ein Porträt sitzen, das ihrem noch unbekannten Bräutigam geschickt werden soll. Dieser reiche Mann aus der Stadt sollte Héloises Schwester heiraten, doch die ist plötzlich verstorben. Ein Unfall, sagt man. Héloise wird aus der Abgeschiedenheit des Klosters geholt, um die Schwester zu ersetzen. Sie weigert sich, für das verlangte Bildnis zu sitzen, ein Maler ist bereits unverrichteter Dinge abgereist. Marianne, nur wenig älter als Héloise, braucht das Honorar und entschließt sich, auf die einsame Insel zu kommen. Sie soll Héloise beobachten und sie aus dem Gedächtnis malen. Die beiden Frauen gehen am Strand spazieren und kommen einander allmählich näher. Bedient werden sie von der verschlossenen Magd Sophie (Luàna Bajrami), die ihre eigenen Probleme hat. "Frau in Flammen", Marianne erinnert sich mit dem Blick der Malerin. Doch dann reist die Gräfin für drei Tage nach Mailand und die drei Frauen sind unter sich, die arme Künstlerin, das gräfliche Töchterlein und die schwangere Magd werden zur Gemeinschaft, werfen die von Männern gemachten Regeln über Bord und leben Freiheit, Freundschaft und Liebe.

Sciamma braucht nur wenige Wörter, dafür um so mehr Blicke, indirekte, über den Spiegel, direkt begehrlich, frech, wissend, um die Gedanken und Gefühle der Frauen auszudrücken. Voll Begehren sind die aus Mariannes großen braunen Augen, anfangs scheu und heimlich die der blonden Héloise. Die Tage der Freiheit gipfeln in einer Mondnacht, in der sich die bretonischen Frauen zu Tanz und Gesang treffen und Sophie helfen, ihre unerwünschte Schwangerschaft zu beenden. Diese beeindruckende Szene stellt Marianne mit Sophie und Héloise später im Atelier nach, um sie zu malen.

Spiel der Blicke auch im Oprheus-Mythos. Bild:  Marc Chagall "Quellen der Musik – Orpheus", 1966 © Metropolitan Opera New York. Gemeinsam lesen die drei die Geschichte von Orpheus und Eurydike, für die Marianne eine neue Deutung findet. „Warum dreht sich Orpheus nach der Befreiung Eurydikes aus der Unterwelt um, wenn er doch weiß, dass er dadurch seine Geliebte verliert?“, fragt Héloise. Marianne versteht es: „Er will das Bild im Gedächtnis behalten, weil es hier ewig bleiben wird. Er schaut auf Eurydike nicht als Liebender, sondern als Künstler.“ Jahre später, Marianne unterrichtet junge Frauen, Héloise ist längst verheiratet, scheinbar glückliches Mitglied der Mailänder Hautvolee, sieht Marianne sie in der Oper. Währen das Orchester Vivaldis Gewitterstimmung aus den „Vier Jahreszeiten“ aufbranden lässt, sieht sie sie zum letzten Mal. Héloise verschwendet keinen Blick. Die Mutter ist abgereist, Héloise und Marianne finden zueinander.

So wenig Worte gewechselt werden, so sparsam geht Sciamma auch mit der Musik um. Den Takt der Bewegungen und Blicke geben Meer und Wind, Musik wird nur eingesetzt, wenn tatsächlich Musik gehört werden soll. Céline Sciamma hat sich auf die Blicke und die Gesten konzentriert, genau studiert, wie sich Frauen im 18. Jahrhundert bewegt haben, wie sie sprachen und sich kleideten, und mit Kamerafrau Claire Mathon malen sie subtile, köstliche Bilder.
JLandschaftsbild mit Héloise (Adèle Haenel)ede Szene, die gegen die Sturm kämpfenden Frauen am Strand, die Liebenden im Bett, die alle Standesunterschiede negierenden Frauen als Komplizinnen beim Abendessen in der Küche, das Spiel mit den Spiegeln und Stoffen, jede Einstellung prägt sich ins Gedächtnis ein, bleibt als Bild erhalten. Auch „die junge Frau in Flammen“ ist ein Bild, Marianne hat es gemalt und sich dabei an das nächtliche Frauenfest erinnert, als Héloises Rock Feuer gefangen hat. Das Bild steht im Malereisaal im Hintergrund. Das einzige Überflüssige in diesem subtilen, hochemotionalen großartigen Film, einem reinen Frauenfilm, doch keineswegs nur für Frauen. Außer den wortkargen Bootsleuten, die Marianne auf die Insel bringen (gedreht ist auf der Insel Quiberon / Côte sauvage worden), sind keine Männer vorhanden, und auch an der Kamera ist eine Frau, Claire Mathon, gestanden.
Über die zahlreichen Preise, die der Film (Drehbuch, Regie, Kamera) erhalten hat, kann man sich in Wikipedia informieren.

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“. Drehbuch und Regie: Céline Sciamma; Kamera: Claire Mathon; Musik: Jean-Baptiste de Laubier, Arthur Simonini. Mit: Noémie Merlant, Adèle Haenel, Luàna Bajrami, Valeria Golino. Ab 13.12. im Kino.
Verleih: Filmladen. Fotos: © Filmladen Filmverleih.