Nick Broomfield: "Marianne & Leonard"
Im November 2016 ist der Singer-Songwriter Leonard Cohen wenige Monate nach der Norwegerin Marianne Ihlen, der Frau, die ungezählte seiner Songs inspiriert hat, gestorben. Die lange und chaotische Verbindung zwischen dem Schöpfer und Interpreten melancholischer Balladen und seiner Muse Marianne hat nun den Dokumentarfilmer Nick Broomfield zu einem bemerkenswerten Film inspiriert. „Marianne & Leonard: Words of Love“ erzählt von der Kraft der Liebe (Mariannes) und der Egozentrik und Eigenwilligkeit eines Künstlers.
Broomfield ist selbst Teil der Geschichte, war er doch zugleich mit Marianne und Leonard auf der Insel Hydra und hatte auch, wie er im Film gesteht, während eines der tiefen Löcher, die Cohen in der Beziehung stanzte, eine Affäre mit ihr. Auch den jungen Broomfield, 1968, als er sich während einer Kreuzfahrt mit seinen Eltern vom Schiff machte und auf Hydra blieb, war er gerade 20 Jahre alt, hat Marianne inspiriert
Es waren die 1960er Jahre, als vor allem amerikanische Literaten und Maler die Insel als Refugium und Möglichkeit, den gesellschaftlichen Regeln und Moralvorstellungen zu entfliehen, entdeckten. Schon 1939 hatte Henry Miller begeistert von seinem Aufenthalt auf der Insel erzählt. Der norwegische Schriftsteller Axel Jensen nahm in den 1960er Jahren mit seiner Familie auf Hydra seinen Aufenthalt. Die Mutter des „kleinen Axel“ und Jensens Frau war Marianne Ihlen (1935–2016), die sich in den ebenfalls auf der Insel gelandeten kanadischen Autor Leonard Cohen verliebt, sich aus der stürmischen Ehe mit dem gewalttätigen Ehemann gelöst hat und die keineswegs friktionsfreie, für sie eher quälende Beziehung mit Cohen begann. „Er hat mich zerstört“, sagte sie später in einem Interview, obwohl ihre Liebe nie geendet hat. Cohen hat als Schriftsteller begonnen und die Musik lange Zeit nur als Weg gesehen, seine Lyrik und Prosa zu finanzieren. Mit Marianne als Muse hat er auf Hydra zwei Romane und einen Gedichtband geschrieben („The Favourite Game“, „Beautiful Losers“ / „Flowers for Hitler“), großen Eindruck erweckte er damit nicht. Erste Erfolge stellten sich erst ein, als er wieder zurück in New York war und seine Lieder selbst interpretierte. 1967 veröffentlichte er sein erstes Album, „Songs of Leonard Cohen“, das in den USA 14, in England sogar 70 Wochen in den Chats rangierte. Enthalten ist auch das Lied „Hey, That’s No Way to Say Goodbye“, das Marianne ebenso gewidmet ist wie der Hit „So long Marianne“, von dem sie gemeint hat, dass er ihr nicht gewidmet sein könne, „denn ich heiße Marianne und nicht Maryanne“.
Broomfield erzählt mit alten Filmaufnahmen und Fotos, Statements von Weggefährten und Freund*innen überaus flüssig fast einen Spielfilm. Zwar verfolgt er auch Cohens Lebensweg und seine Karriere (samt den fünf Jahren, die Cohen in einem buddhistischen Kloster verbracht hat), doch im Mittelpunkt steht die unverbrüchliche Liebe Mariannes, der er nicht nur Songs, sondern auch Gedichte gewidmet hat. Doch hat Cohen auch anderen Frauen Songs gewidmet, wie er selbst gesagt hat, war er „von Frauen besessen“, konnte „ohne Frauen nicht leben“. Die Biografin Marianne Ihlens Kari Hesthamar („So long, Marianne“, 2008 aus dem Norwegischen ins Englische übersetzt von Helle Goldman. 2011 ist ein Radiofeature zum Thema von NRK ausgestrahlt worden) drückt Cohens Verführungskünste und wechselhafte Beziehungen profaner aus: „Er war sehr romantisch und, ich denke, auch richtig geil.“
Marianne Ihlen hat als junge Frau auch nichts anbrennen lassen, aber ihre opferbereite Liebe für Cohen überstrahlt ihr gesamtes Leben. Auch wenn Broomfield in seiner gefühlvollen, lebendig wirkenden Dokumentation an beide, Marianne und Leonard, mit Respekt und fast zärtlicher Liebe herangeht, so hat er für mich den Mann und Menschen Leonard Cohen als egozentrischen Frauenhelden und selbstverliebten Schürzenjäger, der sein Leben ohne Rücksicht auf andere, vor allem die „Geliebten“ gelebt und seine Depressionen zur Selbststilisierung benutzt hat, entzaubert. Seine Lieder und Balladen werde ich weiterhin lieben, doch meine Verehrung gilt Marianne Ihlen, der Muse und ewig Liebenden.
Als Marianne an Leukämie erkrankt war und bereits wusste, dass sie sterben würde, wollte sie, dass Cohen informiert wurde. Im Frühsommer 2016 schrieb er ihr einen vor Sentimentalität triefenden Abschiedsbrief. Schöne Worte machen, das konnte er, wie alle Männer seiner Spezies:
I’ve never forgotten your love and your beauty. But you know that. I don’t have to say any more. Safe travels old friend. See you down the road. Love and gratitude. Leonard. / Nie habe ich deine Liebe und deine Schönheit vergessen. Aber das weißt du. Mehr muss ich nicht sagen. Gute Reise alter Freund. Ich werde dich auf der Straße treffen. Liebe und Dankbarkeit. Leonard.
In der letzten Szenen des Films lässt sich Marianne diesen Brief vorlesen, ein Lächeln lässt das Gesicht der Sterbenden vor Glück erstrahlen. Herzzerreißend.
Leonard Cohen (1934–2016), ebenfalls an Leukämie erkrankt, ist drei Monate nach ihr, am 7. November 2016 gestorben.
Nick Broomfield: „Marianne & Leonard: Words of Love“, Dokumentation, Verleih: polyfilm. Viennale: 25.10., 6.11.2019, Stadtkino im Künstlerhaus. In den Kinos ab 7.11.2019.