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Lulu Wang: „The Farewell“, Familiendrama

Familie Wang nimmt Abschied in Changchun. © Nick West / polyfilm

Die Geschichte, die Lulu Wang, Schriftstellerin und Regisseurin, erzählt, hat sie selbst erlebt. In der Kurzgeschichte „Don’t tell her / Don’t let her know” hat sie davon erzählt und nun einen Film daraus gemacht. Die amerikanische Rapperin und Schauspielerin Awkwafina spielt die Hauptrolle, Billi Wang, für die, obwohl sie in Amerika lebt, chinesische Sitten und Tradition lebendig und wichtig sind. Wenn eine Familie in alle Winde zerstreut ist, dann sind die Kulturdifferenzen vorprogrammiert. Darum geht es in „The Farewell“, doch auch um die Frage, ob eine Lüge richtig sein kann.

Awkwafina als Billi. Sie ist in China zu wenig glücklich wie in den USA. © Melbourne international film festivalIn Europa und den USA ist das Lügen an der Tagesordnung, in der Not und auch, um jemanden zu schonen. Deshalb beschließt die nicht mehr in China lebende Familie Wang, der Großmutter, Nai Nai, die an Lungenkrebs erkrankt ist, nicht zu sagen, dass sie bald sterben wird. Die Schwiegertochter nennt den Grund für die Entscheidung: „Menschen mit Krebs sterben, doch es ist nicht der Krebs, der sie umbringt, sondern die Angst.“ Tochter Billi, eine Literaturstudentin, ist da anderer Ansicht, sie will anfangs gar nicht mitreisen, sie will Nai Nai nichts vorspielen und sie ahnungslos lassen.

Die Familie Wang, Nai Nai hat zwei verheiratete Söhne und Enkelinder, denkt anders. Doch wollen die Söhne und deren Frauen, die Mutter, die Enkelkinder die Großmutter noch einmal sehen. Und für immer Abschied nehmen und unhörbar Farewell zu Nai Nai sagen. Um dieses überraschende Familientreffen für Nai Nai plausibel erscheinen zu lassen, verlegt der in Japan lebende Zweig der Wangs die Hochzeit des Sohnes nach Changchun. Der Enkelsohn bringt seine Braut mit, die aufwändige Zeremonie soll der Höhepunkt des Treffens werden.

Nai Nai zeigt Billi ihre täglichen Tai Chi-Übungen ((Zhao Shuzhen, Awkwafina9, © polyfilm

Mit Feuereifer macht sich Nai Nai an die Vorbereitungen. Sie wird im Glauben gelassen, nur einen vorübergehenden Husten zu haben. Billi kann sich nicht zu heiterem Geplauder und zur fröhlichen Miene im für sie bösen Spiel zwingen. Krampfhaft täuscht sie gute Miene zum für sie bösen Spiel vor. Die Großmutter tröstet sie mit Lebensratschlägen und bringt sie durch ihre Lebensfreude und Herzlichkeit sogar zum Lachen. Zusätzliche Pointen setzt Wang durch die Braut, die kein Wort Chinesisch versteht und auch des Englischen nicht wirklich mächtig ist, das einzige was ihr übrig bleibt ist, Gesichter zu schneiden. Glücklich sieht sie auch nicht aus, als sie für das Hochzeitsfoto posieren muss. Nai Nai fällt das nicht auf, sie sonnt sich in den Armen ihrer Familie, hält die Komödie für das wahre Leben und genießt die Feier im Hotel, zu der anscheinend die halbe Stadt geladen ist.

Regisseurin Lulu Wang, fotgrafiert von Elias Roman. Lulu Wang geht von ihrer eigenen Geschichte aus, auch sie ist mit 6 Jahren nach Amerika emigriert, und als sie von der Krebsdiagnose ihrer Schwiegermutter erfahren hat, hat die Familie das genauso gehalten: Es wurde nicht darüber gesprochen. Im Film ist es die jüngere Schwester von Nai Nai, die sie betreut, mit den Ärzten spricht und der Familie die Wahrheit sagt. Auch Changchun, der Wohnort von Nai Nai, ist der Autorin und Regisseurin bestens bekannt, sie hat ihre Großmutter dort oft besucht besucht. In Billi, die zwischen den beiden Welten pendelt und mit ihrem Protest gegen „die Lüge“ der alten Heimat Respekt zollen will, spiegelt sich nicht nur die zweite Generation von Einwanderern, sondern auch ein bisschen die Regisseurin selbst.

Als Autorin weiß die in Peking geborene Amerikanerin mit verhaltenem Humor pointierte Geschichten zu erzählen, als Regisseurin spielt sie gekonnt mit den Gefühlen der ZuschauerInnen, lässt sie herzlich lachen und auch ein paar Tränen verstohlen aus den Augen wischen. Nai Nai (Zhao Shuzhen) schwebt glücklich durch das familiäre Schlamassel, von dem sie nichts bemerkt. Weder die Unsicherheit ihrer Enkelin, der sie besonders zugetan ist und sie mit ihrer Lebensfreude sogar zum Lachen bringt, noch die Grimassen des Brautpaares, das nicht so recht weiß, welche Rolle es in diesem Theater zu spielen hat, können ihr die Freude an diesem Familientreffen nehmen. Hochzeitsbild mit Familie: Nai Nai (Zhao Shuzhen) thront in der Mitte, außen rechts macht das Brautpaar eine unglückliche Figur.  © Nick West /  polyfilm

Dieser zweiten Generation der Familien, die ihre Heimat verlassen haben, fehlt der Boden unter den Füßen, sie sind hier nicht mehr und dort noch nicht wirklich zu Hause. Regisseurin Wang kennt dieses Gefühl und lässt es auch ihr Publikum spüren. Mit welcher Leichtigkeit sie allerdings diese ernsten Themen, von Heimatlosigkeit und Traditionsverlust und auch vom Tod, anpackt, das ist so amüsant wie sehenswert. Danach darf nachgedacht werden, ob es berechtigt ist, die Großmutter zu belügen, indem ihr eine Scharade vorgeführt wird, bei der niemand wirklich sagt, was sie / er denkt. Die Antwort gibt der Film ganz am Ende.

Lulu Wang: „The Farewell”, Drehbuch und Regie: Lulu Wang; Kamera: Anna Franquesa Solano; Musik: Alex Weston. Mit Awkwafina, Zhao Shuzhen, Tzi Mai und anderen. Verleih: polyfilm, ab 20.12.2019 im Kino.