Elia Suleiman: „Vom Gießen des Zitronenbaums“
Als Reisender über den Globus erkundet Elia Suleiman die Welt und zeigt sie als absurdes Universum, geprägt von Raffgier, Rücksichtslosigkeit und Ignoranz. Der Reisende ist Suleimann selbst, ein Regisseur, der einen Verleih für seinen Film über Palästina, sein Heimatland, sucht. „It must be heaven“ heißt die Komödie im Original, die von der aktuellen Tragödie erzählt.
Mit unbeweglicher Miene steht Suleiman auf seinem Balkon in Nazareth und beobachtet, wie sich der Nachbar seines Zitronengartens bemächtigt. Er selbst spricht im gesamten Film nur ein paar kurze Sätze, hört zu, beobachtet und staunt über die merkwürdige Welt, ob er im menschenleeren Paris umherstreunt, in Montreal oder New York. Den Himmel, den er sucht, findet er ebenso wenig wie einen Verleih für seinen Film, für den sich niemand interessiert.
Suleiman braucht kaum Text, er erzählt seine Geschichten in Bildern. Das ist zu Beginn etwas verwirrend, weil ich nicht weiß, worauf er hinaus will, wenn er als Protagonist seines Films hinter der Balkonbrüstung hervorlinst oder in den Straßen und Tavernen Nazareths als stummer Beobachter flaniert. Doch dann packt er seinen Koffer und reist ab, um einen besseren Ort zu finden. Er findet ihn nicht, und die Zuschauer*innen im Kino schwanken zwischen Lachen und Erschrecken. So komisch die Welt ist, die Suleiman auf seiner Reise findet, so zeigt er lediglich eine etwas übersteigerte Realität. So sehr die großartige präzise Choreografie der Tableaus fasziniert und amüsiert (die Flics in Paris tanzen einen Pas de Quatre, sausen in Formation auf den Segways durch die leeren Straßen, über ihnen durchbrechen Nato-Flugzeuge mit einem Knall die Schallmauer und den Tanz um die Sessel im Park gewinnen die Stärkeren), so unvermeidlich ist die Gänsehaut bei der Erkenntnis: diese absurde Welt ist unsere, ist die Welt, in der wir leben.
Doch der Regisseur und Hauptdarsteller Suleiman will sein Publikum nicht verschrecken, es darf sich unterhalten, über die komischen Szenen lachen und über die schönen Bilder (Kamera: Sofian El Fani) staunen. Und er gibt die Hoffnung nicht auf, zwar sagt ihm der Kartenleser, dass es für die Palästinenser wieder Lebensraum in ihrem Land geben wird, doch muss er die Freude dämpfen: „Wir werden es nicht mehr erleben“. Wieder zu Hause, begrüßt er seine Topfpflanze, ein Zitronenbäumchen, das er vorsorglich in den Garten gesetzt hat, und sieht, dass es vom Nachbarn begossen worden.
Ein meisterhafter Film, in dem Regisseur und Hauptdarsteller Suleiman schwere Gedanken mit unbeweglicher Miene in eine Komödie verwandelt und damit zeigt, dass man auch ohne Gewalt protestieren kann. Elia Suleiman tanzt in seinen Filmen durch die Welt, auch wenn diese vor Waffen starrt, wie bei seinem Besuch in New York.
Zu Beginn wird die Geduld ein wenig strapaziert, besonders wenn man mit Suleimans cineastischem Werk nicht vertraut ist, aber hat man Rhythmus und Melodie der Bilder einmal aufgenommen, bereitet die Reise um die Welt nur noch Freude.
Elia Suleiman ist 1960 in Nazareth geboren, seine Filme sind mehrfach preisgekrönt. Seinem jüngsten hat er als Regiekommentar ein Zitat des deutschen Philosophen Hugo von St. Viktor (1097–1141) mitgegeben:
Wem sein Heimatland lieb ist, der bleibt doch ein zärtlicher Anfänger; wem jedes Land Heimat ist, der ist schon stark; wem aber die ganze Welt Fremde ist, der ist vollkommen.
Der erste hat seine Liebe an eine bestimmte Stelle der Welt geheftet, der zweite hat sie auf die ganze Welt ausgedehnt, der Vollkommene aber hat sie ausgetilgt.
„Vom Gießen des Zitronenbaums“, Buch & Regie: Elia Suleiman.
Kamera: Sofian El Fani. Mit Elia Suleiman als Elia Suleiman und Nebendarsteller*innen. Verleih: polyfilm.
Ab 17. Jänner im Kino.