Skip to main content

Oleg Soulimenko: „Loss“, im brut

Tänzer mit zweiter Haut: "Loss" © Katalin Erdödi

„Loss“ nennt Oleg Soulimenko sein neues Stück, das er mit dem bildenden Künstler Alfredo Barsuglia und der Tänzerin Jasmin Hoffer konzipiert hat und auch mit ihnen ab 16. Februar 2017 im brut zeigen wird. Die Tanzkörper stecken in einer Plastikhülle, als Menschen nicht erkennbar und tanzen doch. Ihre Bewgungen sind unter der Haut, da nur für die Augen der Zuschauer nicht sichtbar.

Die Türen bleiben offen, als wäre der Raum unendlich und die Reptilien, die über die Bühne krieche, sich bedrohlich aufrichten, schwanken, wieder umfallen, könnten jederzeit entkommen. Manchmal tun sie das auch, doch sie kehren zurück, rollen, krabbeln, blasen sich mit Heißluft auf, geraten ins schiefe Licht oder rollen ihre Haut so lang zusammen bis sie nur noch als Riesenhut auf dem Kopf thront. Kontakt haben sie, wenn überhaupt, nur flüchtigen miteinander. Bedrohlisch aufgerichtes Wesen in rachelnder Haut: "Loss". © Katalin Erdödi
Das Rascheln ihrer blauen Haut bildet die Musik dieses makabren Spiels. Der Tanz ist da, unter der Haut, zu sehen ist er nur wenn eine menschliche Hand sich zeigt, ein Stück Bauch oder ein Fuß sichtbar wird. Und hie und da ein blauer Elefant. Von der Decke schwebt ein Reck, kann mit seinen Lichtern blinzeln und hält Alfredo Barsuglia aus, der darauf seine Luftakrobatik zeigt. Dazu muss er die Reptilienhaus aus knisterndem Plastik etwas abstreifen, ist wieder ein Mensch, der gerne zeigt, was er kann.Vieles und auch, mir Angst zu machen, dass das Zwitterwesen aus Reptil und Akrobat plötzlich abstürzt.

Ein Stück Haut wird sichtbar: "Loss". © Loss Katalin Erdödi„Loss“ ist der Titel des spannenden Stücks – man weiß nie, was geschehen wird – , doch dieses englische Vokabel hat viele Bedeutungen: Verlust so wie Ausgleich, Schadensfall oder Vernichtung, Nachteil, Verderben oder auch Ungewissheit. Und dabei will ich es belassen, bei der Ungewissheit. Es muss nicht alles erklärt werden.

Soulimenko, dem auch eine gehörige Portion Mutterwitz zur Verfügung steht, lässt die rätselhaften Wesen über die Bühne kriechen, die beweglichen Skulpturen, schwanken und einstürzen, die Performer winden sich hinein in den Kokon und wieder heraus aus der zweiten Haut. Die Erklärung bleibt den Zuschauerinnen überlassen. Jede kann denken, was sie will, weil auch jede sieht was (nur) sie sieht.

Einen Tipp gibt er aber, der kluge Kopf, genaue Tänzer und akribische Choreograf Soulimenko: „In dem Plastik stecken wir, Fleisch und Knochen. Alles vergänglich, stirbt, zerfällt. Nur das Plastik nicht, es wird noch lange da sein, wenn wir nicht mehr sind.“ Auch so, als Kritik an der Konsumgesellschaft, kann man den unsichtbaren Tanz der Menschen in ihren Plastikhüllen verstehen. Oder als Ausstellung beweglicher Skulpturen, die eine magische Aura haben und bei jeder Bewegung ihre eigene Musik kreieren. Sicher ist auch das nicht. Häutung. Jasmin Hoffer in "Loss". © Katalin Erdödi

Am Ende werden sowieso die Häute abgestreift, eingepackt und auf den Müll geworfen. In der Bühnenmitte türmen sie sich und aus den exakt aufgestellten Lautsprechern (ebenfalls blau verkleidet) ertönen sonderbare Geräusche, ein Klopfen, Karachen und Rumoren. Bricht womöglich alles zusammen / auseinander? Die beiden Tänzer und die Tänzerin verbeugen sich, lächeln. Menschen applaudieren, Menschen bedanken sich.

Oleg Soulimenko: "Loss" mit Oleg Soulimenko, Alfredo Barsuglia, Jasmin Hoffer. 16., 17., 18.2. 2017, brut. Gesehen in einer unfertigen Version am 9.2. 2017.