Giovanni Jussi: „Junges Theater ist kein Hobby.“
Nachdenken, planen, betteln, Team zusammenstellen, proben, Aufführungsort suchen, nochmal als Bittsteller an sämtliche Türen klopfen, verhandeln, Bühne aufstellen, noch mal proben, proben, proben – endlich Premiere! Zwei Mal noch, vielleicht fünf Mal, manchmal nur ein Mal. Das wars dann! Weg und aus. Das kostet Geld, auch Steuergeld, macht müde, laugt aus, führt an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Giovanni Jussi und Maria Spanring können ein Lied davon singen, viele Strophen lang.
Fast ein Kommentar. Der Schauspieler, Tänzer, Autor und Regisseur Giovanni Jussi und seine Teamkollegin Maria Spanring, dienen als Beispiel für den dornigen Weg Freier Gruppen. Dass sich das Paar vor allem auf Junges Theater spezialisiert hat, macht diesen Weg doppelt steinig.
Ach so, Kindertheater!. Muss das ernst genommen werden? Ja, muss! Theater, ob für Kinder oder Jugendliche, für Gehörlose oder anders Behinderte, ist Theater, professionell, ernsthaft und geliebt. Doch keine Liebhaberei sondern Profession.
Fakten und Frust. Was sich Jussi / Spanring von der Seele reden müssen, ist keine singuläre Geschichte, kein Einzelfall. Beide nehmen sich mit Engagement und neuen, oft witzigen Ideen, immer auf der Höhe der Technik, des jungen Publikums an: „Wir sind mitten in der Szene, eine Freie Gruppe wie andere auch. Junges Theater ist kein Hobby.“ Aus Erfahrung wissen sie: „Die Premiere ist noch nicht das Resultat, ein gutes Stück muss sich einspielen, muss auf das Publikum reagieren und reifer werden. Dann hat man erst ein Fundament. Das ist aber innerhalb von drei Aufführungen nicht möglich.“
Ich frage nicht, wie lange sie an der Entwicklung ihrer Stücke arbeiten, wie lange es dauert, die Bühne zu konzipiere, die Objekte zu entwerfen und zu bauen, wie viele Versuche es gibt, bis das klaglose Zusammenspiel zwischen Technik, Sound und Live-Spiel funktioniert. Ich frage nicht, wie kompliziert der Einsatz der neuen Medien ist, mit denen sie gerne arbeiten und die live im Spiel mitwirken. Ich frage auch nicht ob die Eltern, Tanten und Großeltern, Gönner und Mäzene vorhanden sind. Die Antworten würden mich erschrecken.
Mitunter spielen sie für sehr junges Publikum, wie etwa die Geschichte von „Harald“ dem „wilden Schaf“, dann wieder für ziemlich großes, das schon Freude an technischen Spielereien, Computer und Animation, Comic und Ironie hat, wie die Abenteuer des lebendigen Jean-Luck, der in einer gezeichneten Welt umherwandert und mehr will als nur fliegen. „Skreek“ heißt die preisgekrönte Vorstellung, die nicht nur mit einer perfekten, hochtechnischen Ausstattung prunken konnte. Auch das „wilde Schaf“ war für die „Stella“, den Preis der ASSITEJ, der in Frankreich gegründeten internationalen Vereinigung für Kinder- und Jugendtheater, nominiert.
Jussi, der in Italien, Frankreich und der Schweiz studiert und seinen Master gemacht hat (Schauspiel, Tanz, Artistik, Clownerie und Performance), wie auch die Österreicherin Maria Spanringl, die er in Zürich kennen und lieben gelernt hat, ist also ein hochprofessioneller Theatermensch, dessen Liebe dem „Jungen Theater“ gehört. Nachdem er sich in Wien niedergelassen und anfangs bei Freien Gruppen mitgearbeitet hat, bekam er Lust, Eigenes zu produzieren. Mit seinem Interesse und dem Umgang mit den Neuen Medien, hat er direkten Zugang zu den Heranwachsenden und unterhält sie bestens.
Schon die erste Produktion „Ente, Tod und Tulpe“ nach einem Bilderbuch von Wolf Erlbruch (Verlag Antje Kunstmann) war ein voller Erfolg, wurde gefördert, wie auch die kommenden Produktionen. Auf Jussi und TWOF2+ dascollectiv ist Verlass. Von Dauer ist dieser Erfolg bei Kurator_innen und anderen Verantwortlichen für die finanzielle Gießkanne nicht. Nach durchschnittlich drei Vorstellungen – aus die Maus. Um sich selbst um Aufführungen in ganz Österreich und Tourneen ins Ausland zu kümmern, fehlen meist die Ressourcen, personell und finanziell.
Geplante Obsoleszenz. Eine geseufzte rhetorische Frage von Spanring: „Was hat ein Peis für eine Wirkung? Wozu ist eine einmalige Förderung gut, wenn dann nichts weiter geschieht?“, fragt Spanring.
Ist der Lohn am Freien Theater (auf das Wien immer wieder stolz hinweist), die Liebe zur Sache? Auch die geht bekanntlich durch den Magen.
„Die Selbstausbeutung läuft unter einem stillschweigenden Abkommen. Manchmal gibt es ein paar Beruhigungstropfen. Und wir machen weiter, auch wenn wir nicht wissen, wie..“ „Aber bald sind wir am Ende“ ergänzt Jussi. Er ist „schon müde vom Projekt Entwickeln. Das ist doch hinausgeworfens Geld, wenn wir kein Repertoire haben können, wenn wir unsere Kraft und die Zeit in wenige Aufführungen investieren. Auch wenn wir dafür gelobt werden." Die Kurator_innen (Wiener Einrichtung zur Verteilung des Subventionsbudgets für Freie Gruppen) brächten auch nichts weiter, meint Jussi. Er wünscht sich „mehr Ehrlichkeit",und fragt: "Will man das Freie junge Theater überhaupt? So wird nämlich gar nichts weitergebracht, Wir, die gesamte Szene, steckt fest im selben Sumpf.“
Spanring plädiert für ein Netzwerk, für ein Tourneemanagement, Probenräume, einen Fundus für Bühne und Kostüme. „Die paar Beruhigungspillen bringen so gut wie nichts, für Kontinuität ist nicht gesorgt. Manchmal denke ich, wir (alle) werden nicht geschätzt, sind nur lästig und werden schnell abgespeist.“ Sogar Erfolg kann müde machen, erleben Jussi und Spanring: „Mit dem Applaus und dem Stern am Revers können die Mitarbeiter_innen nicht bezahlt oder Werbung gemacht werden.“
Ist Freies Theater, Junges Theater zumal, doch nur eine Liebhaberei? In den Ämtern und subventionsgebenden Gremien wird das offenbar von manchen so gesehen. Zweiklassentheater? Der Stolz auf Wien als Theaterstadt, auf die blühende Landschaft der Freien Gruppen, die vielzitierte Nachhaltigkeit, die Reden über die Pflege des Publikums von Morgen? „Tönendes Erz, klingende Schelle“, würde Paulus von Tarus schreiben.
Freude mit bitterem Kern. Eigentlich sollte es eine freudige Nachricht sein: Corinne Eckenstein, Intendantin des Dschungel, in dem vornehmlich Theater und Tanz für Kinder und Jugendliche gezeigt wird, ist auch von „Skreek – a comic revolution“ begeistert und hat die exquisite Produktion für eine ganze Woche im Februar wieder angesetzt. Hurra! Schüler_innen ab 10 sind eingeladen. Doch die Freude ist sichtlich getrübt.
„Wir haben kein Geld, um das Team wieder zusammenzustellen. Die Ausstattung ist aufwändig, wir brauchen eine Livekamera, jemanden der die komplizierte Bühne exakt aufbaut und wissen nicht, wie wir es bezahlen sollen.“
Giovanni Jussi ist gerade 40 geworden, Maria Spanring ist 34, der Sohn im Kindergarten. Eigentlich wollen sie leben, produzieren, proben und aufführen – Theater machen, in Wien, in Österreich und anderswo. Immer nur Betteln wollen sie nicht.
Mit diesem Wunsch sind sie nicht alleine.
TWOF2 + dascollectiv: „Skreek – A Comic Revolution“, ab 18. Februar 2017 im Dschungel (geplant).