Die Geschichte wiederholt sich (Imagetanz)
Die rauschhaft schöne Performance von „Again The Sunset“ von Inga Huld Hákonardóttir und Yann Leguay bildete den zweiten Teil des Eröffnungsabends von imagetanz 2020 in der Wiener Ankerbrotzentrale.
Mit ihrer Arbeit „Again The Sunset“ setzen die isländische Tänzerin Inga Huld Hákonardóttir und der französische Sound- und Medienkünstler Yann Leguay wohl nicht zufällig bei Themen an, mit denen sich unter anderen Samuel Beckett mit seinen kurzen Stücken ab den 1960er-Jahren wie „Worte und Musik“ (1961), „Come and go“ (1965) oder „Breath“ (1969) befasste: der gegenseitige Einfluss von Musik auf Sprache, Sprache auf Musik, Sprache und Reduktion, Sprache und Wiederholung. Worte, die Musik sind, und Gesten, die nicht mehr Tanz sind. Von der „Materialität des Klangs“ spricht im Zusammenhang mit dieser Arbeit auch Leguay, der schweigende Partner.
Für ihre Arbeit verwenden die beiden Künstler*innen neben Sprache, Bewegung und Sound auch „elementare“ Materialien wie Holz, Feuer oder Wasser, die beiden Letzteren auf der Ton- (Rauschen) und Bildebene (Feuer). Ersteres als tatsächlich physischen Bühnen-Partner. Nacheinander besteigen Hákonardóttir und Leguay einen Holzscheit, den sie im langen ersten Drittel der Performance abwechselnd von beiden Seiten – die eine sprechend und singend, der andere schweigend – mit ihren Hacken so hart bearbeiten, dass sich das Objekt, auf dem sie stehen, kontinuierlich im Kreis zu bewegen beginnt und mit jeder vollendeten Drehung etwas mehr vom rhythmisch bearbeiteten Holzblock auf dem Boden des Raumes liegen bleibt. Aus der endlosen Drehbewegung entsteht so mehr als nur reiner „Abfall“ – es ist das, was bleibt, selbst wenn man nicht mehr tut, als sich mit Gesang und Bewegung um die eigene Achse zu drehen. Und das ist nicht wenig, so wie die endlose Wiederkehr selbst nichts weniger als die Ewigkeit ist.
Auch Inga Huld Hákonardóttirs reduzierte Choreografie bleibt in dieser Endloswiederholung, ebenso der manchmal gospelartige, dann wieder mythisch klingende Gesang über Erinnerung, Wiederholung und Wiederkehr: „Es ist nicht möglich zu sagen, warum sich etwas wiederholt“, heißt es an einer Stelle des sich kontinuierlich wiederholenden dunklen Gesangs der Tänzerin im dunklen Bühnenraum, in dem Leguay wortlos an einer Stelle des Raumes eine (virtuelle) brennende Holzlandschaft aufbaut und an einer anderen Meeresrauschen auf Platte einspielt. Hákonardóttirs schwarz gekleidete, mal tanzende, mal dumpf schreiende, mal am Boden kriechende „Undine“ geht – und bleibt doch stets in dieser „monumentalen Klangwelt mit skulpturalen Ansätzen“, wie es in der Ankündigung heißt. Nichts ist für immer (nothing for ages) heißt es an einer Stelle, und gleich darauf, „wir sind schon eine Ewigkeit hier“.
Hákonardóttir und Leguay arbeiten sich an der Ewigkeit ab, so wie das Feuer in dieser choreografischen Installation nichts an der Substanz des Holzes verändert oder das Rauschen des Meeres, das aus dem Plattenspieler kommt, je zu einem Ende kommt.
Die entstehenden Spane unter dem bearbeiteten Holzscheit zeigen dennoch, das bei aller Wiederholung etwas sich verändert hat und Repetition nie von Stillstand erzählt. So wie die Flammen der Installation und das Wasser der Platte ständig in Bewegung sind, bewegt sich auch Hákonardóttir in ihrer nur in minimalen Variationen sich verändernden Choreografie und ihrem Gesang über „meeting und repeating“. „Again The Sunset“ ist so wohl auch als eine Referenz an Becketts „Glückliche Tage“ zu deuten: „Wieder ein himmlischer Tag“, der wieder (again) mit einem Sonnenuntergang (sunset) zu Ende gehen wird, heißt es dort, wenn Winnie ihren Tag beginnt, der immer derselbe sein wird, bis sie, oder auch alles, ganz verschwindet ‒ „Again The Sunset“, heißt es so auch bei Hákonardóttir, wenn die Tänzerin davon singt, dass sie einst, gemeinsam mit einem/einer anderen, Wolken gewesen war. Oder auch nur eine, rosa gefärbt von der Sonne, die sich in dieser betörend rauschhaften Performance so gar nicht für den neuen Tag aufzumachen scheint.
„Again The Sunset“. Choreografie und Performance: Inga Huld Hákonardóttir; Komposition und Performance: Yann Leguay; Bühne: Inga Huld Hákonardóttir und Yann Leguay; ÖEA (engl.) Im Rahmen von imagetanz 2020, 8. März 2020, brut im Ankersaal.
Weitere internationale Vorstellungen auf ingahakonardottir.com
Tania Napravnik hat die beiden Vorstellungen ebenfalls besucht und schildert auf tanzschrift ihre Eindrücke.