Überleben im Dschungel des Daseins
Korea (Republik Korea / Südkorea) liegt im Trend. In der Jugendkultur ist K-Pop und K-Drama in Film und Fernsehen angesagt, Koreanologie zu studieren, ist Mode geworden, und K-Dance ist auf dem besten Weg, Europa zu erobern. In Wien ist die erste Begegnung mit zeitgenössischem Tanz aus Korea mit einem Applausorkan belohnt worden. Die Korea National Contemporary Dance Company (KNCDC) hat mit der Choreografie Jungle von Kim Sungyong, dem Chef der Company, Anfang August im Volkstheater einhellige Begeisterung hervorgerufen.
Sie kommen, aus dem Nebel, verschwinden wieder im Nebel, tanzen in düsterer Atmosphäre, blicken nur manchmal nach oben, wenn ein sanfter Lichtstrahl den einer Häkeldecke ähnlichen Filter vor der Beleuchtungsanlage durchbricht. Ein Tanz in Chiaroscuro, wenig Licht und viel Schatten Im Dschungel des Lebens, wo jede gegen jede ist und doch nur die Gemeinschaft durchkommt.
Die Bühne des Volkstheaters scheint zu klein zu sein für das Gedränge von 17 Tänzerinnen aus Korea, die sich oft zusammenrotten zu einem Gewimmel von ekligen Würmern. Die Kostüme sind kaum auszunehmen, so fahl ist das Licht, doch Arme und Beide sind frei, schimmern und leuchten oft weiß oder orange. Jede tanzt für sich, versucht sich in diesem Jungle durchzusetzen. Das Menschsein wird vergessen, die Körper bewegen sich wie Tiere, kriechen, rollen auf dem Boden, biegen sich im tiefen Plié. Das Zuschauen lässt schmerzhaft fürchten, die Körper brächen auseinander.
Hie und da taucht ein Hoffnungsschimmer auf, es wird heller im Dschungel, Paare finden sich zusammen, die zersplitterte Gruppe wird zu einer Einheit, 34 Beine bewegen sich auf einem Gleis. Doch schnell bricht die Gemeinschaft wieder auseinander, jede Figur kämpft allein, dann ballen sich alle zusammen, werden ein Haufen verschlungener Gliedmaßen, der dem Licht zustrebt. Die Gemeinsamkeit gilt nicht mehr, keine hilft der anderen. Es heißt, alleine durch den Dschungel zu kommen, der „da draußen“ lauert. It's a Jungle out there, das weiß nicht nur Mr. Monk:
It′s a jungle out there
Disorder and confusion everywhere
No one seems to care
Well, I do
Hey, who's in charge here?
Choreograf Kim Sungiong macht kein Geheimnis aus seiner Methode, die Tänzerinnen weit über ihre Grenzen hinauszutreiben und den kräfteraubenden, aggressiven Tanzstil ihrem Körper abzutrotzen. Kim hat in intensiver Forschungsarbeit eine Bewegungsform entwickelt, die er Process Init nennt und darauf beruht, dass Tänzerinnen ganz bei sich sind, sich auf ihre Emotionen und ihren Körper konzentrieren. Sie entscheiden selbst, wie sie sich bewegen. Das Ergebnis ist phänomenal, intensiv, akrobatisch, asiatische Kampfkunst schwingt mit, aber auch Verzweiflung und Wut. Durch den Dschungel des Lebens bewegt sich jede auf ihre Weise. Der Eindruck einer einstudierten Choreografie entsteht durch die Musik — gleichförmige elektronische Klänge und Trance Music, durch dumpfe Gongschläge strukturiert — und das Hell-Dunkel-Spiel des Lichtdesigns. Doch ob Choreografie mit oder ohne Erzählung gezeigt wird, ob ein ordnender Geist oder ein geschriebenes Konzept dahintersteht, welcher Dschungel da zu sehen ist, ist der gefesselten Zuschauerin kaum des Nachdenkens wert. Die Bewegungen jeder einzelnen Tänzerin, das Auf und Nieder der Gliedmaßen und des Torsos, die wechselnden Mienen und die raren Begegnungen der Tanzkörper im spärlichen Bühnenlicht öffnen einen schwarzen Raum bereit zum Hineinfallen. ich bin mitten im Dschungel der Tanzkörper, staunend und fasziniert. K-Dance erzählt vielleicht von der Hölle, ist selbst aber der Himmel.
KIM Sungyong / Korea Antional Contemporary Dance Company: Jungle, 2., 3., 4. August, ImPulsTanz im Volkstheater.
Choreografie: KIM Sungyong; Probenleitung: Lee Junwook
Komposition und musikalische Leitung: Marihiko Hara
Bühnenbild: You Jaehun und Jo haerin (Youjam Studio); Licht: Lee Jungyoon; Kostüme: Bae Kyongsool
Produktionsleitung: Cho Yoongeun, Produktion: Korea National Contemporary Dance Company (국립현대무용단)
Fotos: © Hwang Inmo