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Tanz der Komödie, Tanz der Teufel

Soundkünstler Tobias Koch eröffnet „Fool’s Gold“.

Mit Fool’s Gold gastieren Thibault Lac und Tobias Koch – nach Such Sweet Thunder, mit dem sie 2019 den Young Choreographers’ Award gewannen – zum zweiten Mal mit einem gemeinsamen Projekt bei ImPulsTanz. Zusammen mit dem kanadischen Tänzer Stephen Thompson exerzieren Koch und Lac fulminant alle Sonnen- und Schattenseiten einer komödiantischen Figur, die immer ein Stück Tragödie mit sich und im Falle dieses Abends auch weit in eine abgründige Welt von heute führt.

Wie schon vor einigen Tagen bei Aymeric Hainauxs und François Chaignauds choreografischer Studie über all die kulturhistorischen Facetten, die der „Fool's Gold“ ist ein Duett zweier Tänzer, in das sich der Musiker als Dritter immer wieder einmischt. Begriff Mirlitons mit sich bringt, ist auch bei Fool’s Gold die Bühne in einen gemeinschaftlichen Aktions-/Erlebnisraum verwandelt. Wieder findet sich darin ein rund zwei Mal zwei Meter fassendes Podest, das dieses Mal jedoch nicht aus klassischen Bühnenelementen besteht, sondern aus Stahlgitterteilen.  Eine einfache Bausatzkonstruktion, löchrig, knarrend und bei all ihrer metallenen Härte immer auch den Abgrund unter ihr freigebend. Hier lässt es sich teuflisch gebärden, und das tun die beiden Tänzer in den folgenden rund 60 Minuten auch.Als  Gestaltwandler wechseln die Narren auf der Bühne ständig ihren Charakter, von fröhlich bis teuflisch. Das Stück beginnt jedoch vorerst in Dunkelheit und mit einem mehrminütigen musikalischen Intro des Schweizer Soundkünstlers und Musikers Tobias Koch, das mit einem leise anwachsenden Cembalo-Spiel einsetzt. Rasch jedoch verformt Koch die Renaissance- und Barocklänge, wie sie wohl historische Commedia-dell’arte-Aufführungen begleitet hatten, mit seinerseits metallischen Elektrosounds, fragmentiert Klänge und Harmonien und lässt so gleich zu Beginn erkennen, dass wir uns schon lange von jeder „celestial harmony“ der Geburtsstunde des Arlecchino entfernt haben. Der Musiker erweitert das tanzende Duo immer wieder zum Trio.Wenn dann Thibault Lac die Bühne und den stählernen Tanzboden seiner Harlekin-Version betritt, sind wir schon mitten drin in den Abgründen, die dieser „Höllenkönig“ – (h)ellechin(n)o – immer mit sich führt. Lacs Possenreißer markiert von Beginn an einen wilden Spaßmacher, der nie er selbst ist. Er variiert tradierte Verführungsgesten seiner Figur, verbeugt sich fast kriecherisch, um gleich darauf sarkastisch aufzubegehren, umgarnt, lacht, schnalzt mit der Zunge, buhlt um die im Titel zitierte Liebe und stößt doch zugleich ab, macht grausam deutlich, dass dieser ausgreifend schöne Spaßvogel nie etwas anderes ist als ein Trickster, Verführer und Betrüger, unberechenbar und faszinierend zugleich. Lacs Performance ist exzessiv, kantig und widerspenstig. Dem steht im steten Wechsel Stephen Thompson gegenüber, dessen Tanz einen ganz anderen Gaukler heraufbeschwört: langsamer, schlangenartiger, nicht minder lasziv und selbstverliebt, aber immer wie verzögert, als wäre alles in dieser choreografisch-historischen Suchbewegung eben auch zeitverzögert. Performancer Stephen Thompson streift langsam seine Gummihandschuhe ab, bis sie endlosen Verlängerungen seiner Gliedmaßen gleichen.
In einem der abwechselnden Soloparts des Abends trägt Thompson in Alice Panzieras wunderbar choreografiertem, immer röter und dunkler werdendem Licht armlange orange Gummihandschuhe. Langsam streift er sie ab, bis sie endlosen Verlängerungen seiner Gliedmaßen gleichen. Noch im Moment, in dem sie schließlich von ihm abfallen, scheinen sie ihn zart zu umarmen. Was dabei entsteht, ist ein atemberaubendes Pas de deux von Körper und Gummi. Darunter tut sich die metallische Hölle in Rot auf, ehe Thompsons Figur, nun eine Mischung aus sterbendem Schwan und abgründigem Faun, zuletzt in den Flammen unter ihm einzutauchen scheint.
Das Spiel mit den Farben Rot, Orange, gepaart mit Grün oder Rosa, die die Kostüme von Cosima & Christa ebenfalls aufgreifen, gehört zu einer weiteren klugen Facette dieser hochkomplexen, von kunst- und kulturhistorischen Anspielungen berstenden Arbeit. Das Licht in  Alice Panzieras Design wird immer röter und schwärzer, bis das Verwirrspiel in der Dunkelheit endet. Das Bild des Fauns kehrt dabei immer wieder in den Vordergrund, etwa, wenn Lacs und Thompsons Harlekin-Versionen einander an mehreren Stellen des Stücks scheinbar im Duett, mehr jedoch im steten Kampf ihrer je eigenen und eigenwilligen Interpretationen der Figur wiederfinden, während sich Koch passagenweise solistisch, dann wieder als Dritter im choreografischen Bunde einbringt, etwa mit einer mit Glocken und Commedia-Masken behangenen Kette den gesamten Raum abschreitet, Ein Podest aus Stahlgitterteilen inmitten der Bühne gibt den rot beleuchteten Höllenschlund darunter frei. dann wieder einen Geigenbogen elektronisch so verformt, dass sich der Höllenschlund auch im Sound weit öffnet. Stetig diabolischer werden Gesten und Grimassen, bis sich die drei Performer gänzlich in ihren déformations infernales wiederfinden, das an den Titel erinnernde feurig-goldene Licht von allen Seiten auf die Performer wie Publikum gemeinsam fassende Bühne knallt, ehe es langsam erkaltet, die Harlekine sich in Kochs düsteren Beats dem unsterblichen Verwirrspiel, in dem man immer wieder auch Voguing-Zitate erkennt, zu ergeben ansetzen, bis sie einzig das Schwarz am Ende aus ihrem endlosen Aufbegehren erlöst.

Fool’s Gold, ein Stück von Tobias Koch und Thibault Lac in Zusammenarbeit mit Stephen Thompson, Museums Quartier/Halle G im Rahmen von ImPulsTanz 26. und 28.7.2024
 Licht: Alice Panziera; Kostüme: Cosima & Christa; technische Assistenz: Thibault Villard;
Fotos: © Jelena Luise