Glitch Choir: Einsam und gemeinsam
Im White Cube auf der vierten Etage des Mumok präsentieren Deva Schubert und ihre KollegInnen Glitch Choir, ein Stück, das den Körper als Hohlraum für Resonanzbeziehungen zwischen den Performerinnen nutzt. Im Rahmen des Impulstanz-Festivals wird das Stück insgesamt dreimal aufgeführt. Unter der Leitung von Chris Haring ist es Teil des Rahmenprogramms (8:tension), das jungen ChoreografInnen eine Bühne bietet.
Zusammen mit Chihiro Araki als Performerin und Davide Luciani als Komponist für das Stück wird Lamento, der Klagegesang, der seit dem 17. Jahrhundert von Frauen durchgeführt wird, genutzt, um private Trauer in eine kollektive und öffentliche Darbietung zu verwandeln. Es handelt sich um ein queeres Stück und zeigt Schubert und Araki als HauptperformerInnen mit neun weiblich gelesenen KumpanInnen. Das Stück reflektiert die Schwarmintelligenz solidarischer Frauengemeinschaft und verbindet traditionelle Gesänge mit zeitgenössischer Ästhetik. Gesang und Stimmspiel stehen im Vordergrund. Während die Bewegungen dazu dienen, Resonanzräume im Körper zu schaffen, die kollektive Trauer zu glitchen und die Dissonanz der Frequenzen im Multiresonanzraum des Mumok katapultieren. Glitch bezieht sich hier auf das Phänomen einer (digitalen) Störung der Information, die ein verzerrtes Bild oder Video erzeugt. Die Performance nutzt diese Ästhetik als Stilmittel für die Choreografie. Sie bietet eine analoge Form des technologieorientierten Phänomens des 21. Jahrhunderts, und so verschmelzen die Klagelieder mit digitalisierter Trauer. Zwischenmenschliche Intimität ist ein wichtiges Element in diesem Stück und wird auf verschiedenen Ebenen mit Beteiligung aller teilnehmenden PerformerInnen gezeigt. Die Choreografien und Beziehungen erinnern an Freundschaft und Liebe, Partnerschaft und Streit. Am Ende finden sich alle auf der Bühne in einem harmonischen Bild wieder, das an Renaissancemalerei erinnert, vereint und kanalisiert in gemeinsamer Trauer, und die Klagen werden nicht vorgegeben, sondern können vom Publikum selbst interpretiert werden.
Es erscheint wie ein lesbisches Liebesdrama: Die PerformerInnen klagen förmlich miteinander – hier wird der weibliche Körper durchkreuzt und zum Nutzobjekt für kollektive Trauer transformiert. Die Liebesbeziehung scheint katalysiert zu werden. Lautes Weinen ist ebenfalls zu hören, dennoch bleibt das Stück in einer Atmosphäre von Gemeinschaft, mit Elementen der Einsamkeit.
Es entsteht ein Gefühl von Dichotomie, das eindeutig versucht, die Zwischenräume zu füllen. Die PerformerInnen bewegen sich einzeln, paarweise und in Schwärmen – alle Konstellationen sind möglich. Ebenso wird eine nonverbale, minimalistische Dramaturgie von Lotta Paula Mathilda Beckers geführt, die durch konkrete Elemente wie Gesang, die Dynamik der Performerinnen untereinander und amöbenhafte Bewegungen minimiert wird. Das Licht wechselt leicht in stroboskopähnliche Effekte, bleibt jedoch meistens konstant bei der Ausstellungsbeleuchtung. Das Farbthema in hellem Blau mit weißen und grauen Tönen spielt ebenso eine wichtige Rolle für die Atmosphäre, die von einer Unterwasser-Schwarmatmosphäre bis zu himmlisch ätherischen Momenten reicht.
Deva Schubert: Glitch Choir, 12., 13., 14.7.2024, ImPulsTanz im mumok– Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig.
Konzept und Choreografie: Deva Schubert
Performance: Chihiro Araki und Deva Schubert
Gäste: Johanna Ackva, Lotta Beckers, Francesca Ferrari, Magdalena Forster, Lo Höckner, Julia Müllner, Hyeji Nam, Marta Navaridas, Lina Venegas, Tony Wagner
Musik und Sound: Davide Luciani; Licht: Hannah Kritten Tangsoo; Kostüme: Ama Tomberli; Dramaturgie: Lotta Beckers.
Fotos: © Frank Sperlling