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Clara Furey, Inmitten sinnlicher Wellen

Clara Furey lässt sich von den Wellen tragen. © Beatrice Borgers

Schwingen, biegen, wiegen, wogen, strömen, schwanken, pulsieren und selten hart aufeinanderprallen. Sanft bewegt sich das Wasser, sanft bewegen sich vier Körper auf der Bühne, sinnlich und ephemer. Unarmoured nennt die kanadische Tänzerin, Choreografin und Musikerin ihre jüngste Kreation. Zu Beginn des ImPulsTanz Festival zeigte sie Unarmoured, selbst mittanzend, im Odeon.

Im grünschimmernden Licht verschwimmt der Körper von Justine De Luna.Unarmoured, ungerüstet, unbewaffnet, ist eine Fureysche Wortkonstruktion. Die in Montreal lebende, französisch sprechende Künstlerin hört aus dem Vokabel nicht nur die nicht vorhandenen Waffen heraus, sondern auch die Liebe – en amour. Für sie geht es nicht um das sexuelle Begehren, gemeinhin Liebe genannt, auch nicht um die Selbstliebe oder jegliches andere triviale Gefühl, das unter dem Namen Liebe kursiert, sie spricht von einer kosmischen Erotik. Sie war in den Vorarbeiten zu dieser Fortsetzung des Trios Dog Rising (ImPulsTanz 2022, 2023) mehr Forscherin als Choreografin.Sie selbst, die Tänzerin Be Heintzman Hope und die Tänzer Justin de Luna und Brian Mendez erforschen sich selbst, ihre Lust, ihren Körper, gehen nach innen und wieder nach außen. Lust ohne Scham zeigen die vier in lockere Kostüme von Be Heintzman Hope gekleidete Körper, alleine, ganz bei sich oder auch zu zweit und in der Gruppe, sich entspannen, ausruhen, den Rest des Quartetts beobachten ist inkludiert. Die Tänzerinnen beschäftigen sich nicht allein mit dem eigenen Körper, auch der der anderen wird bearbeitet, damit er sich öffnet.
„Porös“, nennt Furey die Performance. Die einzelnen Sequenzen wechseln fluktuierend, werden wiederholt und folgen schwingend der Musik, es gibt synchrone Bewegungen zu hartem Beat und schmerzhaftes gegen einander Schlagen der Körper. Es scheint, es folgten die Körper ganz den Wellen im Wasser, auch die Luft scheint Widerstand zu bieten und auch zu tragen, doch es ist die Musik von Fureys Bruder, Thomas, der sich das Quartett anvertraut. Sein Projekt Twin Rising ist nicht Begleitung, sondern Teil der Inszenierung. Der elektronische Sound, episch und auch voll Synkopen, die in den Bewegungsmustern sichtbar werden, hüllt das Publikum ein, erzeugt eine tranceartige Stimmung. Zu viert eingehüllt von Wasser, Luft und Licht.ich habe den Eindruck, Furey geht es mit Unarmoured mehr um eine Gruppensitzung, um ein kollektives Erlebnis, als um eine Performance. Auch das Lichtdesign trägt dazu bei. In einer in der Mitte hoch oben angebrachten schwarzen Box sind die Lichtquellen versteckt, doch die Körper bewegen sich oft außerhalb dieses diffusen, grau, blau oder grün gefärbten gedimmten Bühnenlichts. Am Ende verschieben Furey und Lichtdesigner Paul Chambers den Focus total.  Im unerwarteten Finale aalt sich ein Tänzer, nackt und allein auf der Bühne. Wer nahe dran ist, sieht die vom Schweiß glänzende Haut, jeden Muskel, jede Faser darunter. Der Rippenbogen wölbt sich, fältt wieder zusammen,  das Rückgrat ist aus elastischem Material. Ich möchte mehr sehen, möchte in diesen 60 Minuten einen Akzent erfahren, mit einem Knall aus der Trance erwachen, mit Brillanz und Glanz aus dem Kosmos auf die Erde zurückgeholt werden. Das Licht ist diffus, die Bewegungen sind flüchtig. Das passiert nicht, stattdessen kämpfe ich in den letzten zehn Minuten mit der Langeweile. Schade!

Clara Furey hat als Motto ihrer aktuellen Arbeit eine Strophe aus dem romantischen Poem Waterline von Ocean Vuong gewählt:

If I nationed myself
in the shadow
of a colossal wave

If only to hold on
by opening
by kingdom com

 

Clara Furey: Unarmoured, ImPulsTanz im Odeon, 13. und 14. Juli
Choreografische Mitarbeit und Performance: Justin de Luna, Clara Furey, Be Heintzman Hope, Brian Mendez
Musikalische Komposition und Live-Verräumlichung: Twin Rising; Kostüme: Be Heintzman Hope; Licht: Paul Chambers. Technische Leitung: Jenny Huot, Darah Miah. Produktion: Bent Hollow Cie.
Europäische Premiere: 22. Mai 2024, Kunstenfestivaldesarts, Brüssel. Die nordamerikanische Premiere war am 29.5.2024 im Rahmen des Festival TransAmériques in Montreal.
Fotos: © Kinga MIchalska