Davide Bombana / H. Berlioz: „Roméo et Juliette“
Die „Symphonie dramatique Roméo et Juliette“, uraufgeführt 1839, für Orchester, zwei Chöre und Solostimmen hat Hector Berlioz für den Konzertsaal geschrieben. Der Choreograf Davide Bombana macht mit dem Wiener Staatsballett die Musik sichtbar, fügt dem originellen, hochdramatischen Werk eine neue Dimension hinzu. In der 13. Aufführung des für Wien geschaffenen Balletts haben Elena Bottaro und Andrés Garcia Torres das von William Shakespeare zum Mythos erhobene Liebespaar interpretiert. Mit langanhaltendem Jubel sind die Tänzer*innen, die Sängerin und die beiden Sänger und der Dirigent Gerrit Prießnitz bedankt worden.
Davide Bombana hat das im Dezember 2017 erfolgreich uraufgeführte Ballett der Bühnenausstatterin rosalie (Gudrun Müller) gewidmet. Die Stuttgarter Künstlerin ist während der Vorbereitungsarbeiten im 65. Lebensjahr verstorben. Ihre Entwürfe (Bühnenbild, Kostüme und Licht) hat Thomas Jürgens unter Mitarbeit von Angelika Berger realisiert. Ein wenig verspielt, romantisch in den Liebesszenen, kühl mit Lichtstäben, wenn der erzählende und kommentierende Chor im Mittelpunkt steht, gibt die Ausstattung den Tänzer*innen genügend Raum zur Bewegung.
Bottaro und Garcia Torres legen ihre Rollen weich und romantisch an. Ganz ihren Gefühlen hingegeben, denken sie nicht an die Zukunft, kümmern sich wenig um die Feindschaft zwischen ihren beiden Familien, ahnen nicht den frühen Tod. Sowohl in den Soloszenen wie auch im innigen Liebes-Pas de deux des Adagios verschmelzen Bottaro und Garcia Torres nahezu mit der von Gerrit Prießnitz einfühlsam dirigierten Musik. Im Alt-Solo, wenn die Gefühle der ersten Liebe besungen werden, liegt Julia in ihrem Schoß. Träumen kann sie nicht, Amely Peebos klare Stimme reicht bis in die Lustkandlgasse, die „ersten Wallungen unter den Sternen Italiens“ sind nicht gerade zärtlich. Berlioz lässt ja nicht nur Trommeln und Trompeten erschallen, sondern umarmt das Paar im Adagio für den innigen Liebes Pas de deux weich und liebevoll.
Bombana muss keine Geschichte erzählen, die ist Kulturerbe, wie der Komponist begnügt er sich mit kurzen Szenen, um die Emotionen darzustellen.
Deshalb genügen ihm auch die Hauptpersonen des Shakespearschen Dramas – Romeo, seine Freunde Mercutio und Benvolio; Julia, ihr Cousin Tybalt und Pater Lorenzo, der durch den Trick mit dem Schlaftrunk das Desaster erst auslöst –, fügt aber die von Shakespeare und dem Berlioz-Librettisten, Émile Deschamps, erwähnte „Königin der Träume, Mab“, hinzu, die samt ihren entzückenden Doubles Verwirrung stiftet, Begierde und Unfrieden befeuert. Für sie hat Berlioz ein Scherzo komponiert, das die Stimmung der von Felix Mendelssohn-Bartholdy vier Jahre später komponierten Sommernachtstraum-Musik anklingen lässt. Gala Jovanovic ist eine elegante, verführerische Mab, der man nicht wirklich böse sein kann, wenn sie das Niedrige und Hässliche an die Oberfläche bringt.
Beeindruckend, wie schon in der Premiere, sind die jungen, kämpfenden Männer, Martin Winter als Tybalt mit silberner Maske, Keisuke Nejime als fröhlich kasperlnder Mercutio, Gleb Shilov als Benvolio. Am Ende haben der Bass Andreas Daum und der Erste Solotänzer Roman Lazik ihren großen Auftritt als Pater Lorenzo. Den plagen Selbstvorwürfe und Reue, weil er doch dem Liebespaar gegen den Willen der Eltern den Segen erteilt hat. Jetzt liegt das Ehepaar tot in der Greif und die beiden Familien geifern vor Hass, verfluchen einander wechselweise. Daum sing, Lazik tanzt die widersprüchlichen Gefühle. Librettist Deschamps und Komponist Berlioz wollen, dass die beiden keineswegs im 14. Jahrhundert, sondern heute agierenden Familien, die unterdrückten, verachteten Montagues und die klassenbewussten, überheblichen Montagues, sich versöhnen, Musik und Text sind ein Plädoyer für ein friedliches Zusammenleben: „ Großer Gott, erleuchte diese harten, schwarzen Seelen“ betet Lorenzo. Die Erleuchteten geben einander die Hände, Mab schleicht durch die Reihen.
Je öfter ich dieses Ballett in den unterschiedlichen Interpretationen durch die Protagonist*innen sehe, die Musik höre, desto besser gefällt es mir. Das Publikum in der Volksoper, bei Ballett nicht unbedingt applausfreudig, scheint ähnlich zu fühlen. Auch bei dieser 13. Aufführung wurde begeistert applaudiert, die Bravo-Rufe wollten nicht enden. Erst als der Vorhang, Endgültigkeit signalisierend, gefallen ist und das Saallicht aufleuchtet, hat der Alltag wieder die Oberhand gewonnen.
Wie angenehm übrigens, dass in der Volksoper gewartet wird, bis die Begeisterung des Publikums nachlässt und der Strom zur Garderobe zunimmt. In der Staatsoper haben es die dienstbaren Geister immer so eilig nach Hause zu kommen, dass sie die Saal- und Logentüren schon aufreißen, bevor der Dirigent den Stab gesenkt hat. Dass Solistinnen und Solisten noch vor den Vorhang gebeten werden, ist zumindest in Ballettvorstellungen, kaum möglich, weil das Publikum quasi hinausgestampert wird. Bombanas Ballett soll nicht das gleiche Schicksal erleiden, ist doch das multimediale Werk aus Musik, Gesang und Tanz, nicht nur für Ballettfreund*innen ein Genuss. Es nach 14 Vorstellungen im Archiv verstauben zu lassen, wäre schade.
Davide Bombana: „Roméo et Juliette“, Musik von Hector Berlioz. Bühnenbild, Kostüme und Licht: rosalie, Realisation: Thomas Jürgens, Mitarbeit Kostüme: Angelika Berger. Dirigent: Gerrit Prießnitz; Choreinstudierung: Thomas Böttcher. Alt: Annely Peebo, Tenor: Alexander Pinderak, Bass: Andres Daum. Orchester der Volksoper Wien; Chor und Zusatzchor der Volksoper Wien. Wiener Staatsballett mit Elena Bottaro und Andrés Garcia Torres in den Titelrollen. 12. April 2019, Volksoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 15. April 2019.
Sezenenbilder, fotografiert von Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor