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Dritter Jahrgang Schauspiel, MuK: „Das Ereignis“

Das Ereignis: die Jugend beißt sich durch

Ein Ereignis! Die dritte Klasse des vierjährigen Lehrgangs Schauspiel an der MuK (Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien) hat am 4.4. im Dschungel Wien eine ernsthafte Komödie aufgeführt, die sich sehen lassen kann und gesehen werden soll. In der Regie von Susi Stach und Karin Koller spielen neun Student*innen quasi sich selbst, junge Menschen auf der Suche nach ihren Stärken und Schwächen. Komisch, fesselnd in einer gut abgeschmeckten Mischung: „Das Ereignis“.

Für die Jüngste ist das Leben noch ein Skateboard.Es sind acht Geschwister, drei Mädchen, fünf Buben zwischen zwölf und 20, die nach dem Tod der Eltern vergnügt in einem Wohnwagen leben. Die Eltern waren Clowndarsteller, haben die Kinder zu Hause unterrichtet und ihnen viel Freiheit gelassen. Der Älteste, Eric, ist abgehaut, die Jüngste, Mia, hofft täglich auf seine Wiederkehr. Der Nachgerückte mag die Verantwortung nicht mehr tragen, doch keine(r) will ihm die Bürde abnehmen. Nach und nach entpuppt sich die fröhliche Idylle als längst brüchig. Die Kinder haben sich zu Individuen mit eigenen, vom allgemeinen konsens abweichenden Ansichten entwickelt. Auf einmal spüren sie, dass in der Gemeinschaft individuelle Bedürfnisse zu wenig Platz finden, in den heranwachsenden Männern erwacht die Neugier auf das andere Geschlecht, die Aktiven kommen mit den verträumten Passiven nicht mehr so wirklich zurecht. Als möglicher Katalysator taucht eine junge Frau, Erika, auf. Sie hat ihre Eltern verlassen, kann Ukulele spielen und sucht Anschluss.

Die Konflikte, Unsicherheiten und unterschiedlichen Lebensauffassungen werden sichtbar durch das Angebot, die Eltern in einem bereits vereinbarten Auftritt zu vertreten. Eine Menschenpyramide ist geplant. Doch zu unterschiedlich sind die Kräfte, die Idee muss wieder verworfen wrden. Sofort sind alle Feuer und Flamme, doch der Enthusiasmus schwindet, als ein Konsens zustande gebracht werden muss, was überhaupt auf der großen Bühne gezeigt werden soll, welche Energie und Leistung jede(r) einbringen kann und will. Manche Ideen werden verworfen, andere angenommen, gelingen aber in der Durchführung nicht. Gegen den großartige Furz-Chor spricht die Vernunft. Diese Acht haben von den Eltern vermutlich nicht Latein und Griechisch gelernt, aber Empathie, Lebensfreude und eine Grundklugheit ist ihnen mitgegeben, so wird der Furz-Song zwar bis zum krachenden Ende gesungen, aber nicht einem fremden Publikum präsentiert. Zu einem gemeinsamen Beschluss kommen sie nicht, Erika ist auch keine wirkliche Hilfe. Vermutlich ist es am besten, alle neun schlafen noch einmal darüber. Bums, die Wohnwagentür fällt zu, das Licht geht an.

Gemeinsam mit der Autorin haben die werdenden Schauspieler*innen das Stück geschrieben und ihre Rollen ausgesucht, so können sie einerseits ihre darstellerischen Talente zeigen und andererseits ganz sie selbst sein. Munter fließen die Dialoge, witzig und komisch sind viele kleine Details, nichts ist überzogen, das zwischen Bühne und Videowand (perfekt auf die Wohnwagenfront angepasst) wechselnde Spiel ist realistisch und märchenhaft zugleich. Hinter der Komödie versteckt sich der Ernst des Lebens, wer will, kann ihn sehen.Friedlicher Gedankenaustausch am Lagerfeuer.

Genial, mit einfachen Mitteln hat Elisabeth Binder-Neururer (Kostümleiterin bei ART FOR ART und Lehrende für Kostümkunde an der MuK) die Bühne gestaltet. Die Seitenfront eines Wohnwagens, wie aus Sperrholz gesägt mit Klappfenstern und der Treppe vor dem Eingang, auf der sich wunderbar sitzen und träumen lässt. Die Familie quillt heraus und stopft sich selbst wieder hinein, man weiß ja, dass in einem Wohnwagen immer erstickende Enge herrscht, kann sich dennoch Matratzen und Sitzgelegenheiten vorstellen. Vor dem Ereignis, Ausschnitt aus den Dreharbeiten. © Jan ZischkaDavor ist logischerweise eine Wiese, sicher steht die Behausung auf einer Lichtung im Wald, nicht im „Zementgarten“ (Ian McEwen). Kinder von Traurigkeit sind diese acht sicher nicht, sie werden es schaffen, hinaus ins reale Leben zu gehen. Das gilt für die Bande im Wohnwagen und auch für deren Darsteller*innen.

Selten war der enthusiastische Premierenapplaus so verdient wie bei diesem „Ereignis“, das gar nicht und doch stattfindet, doch anders, als erwartet.

„Das Ereignis“, Schauspiel. Buch: Karin Koller und Ensemble; Regie: Susi Stach, Karin Koller. Bühne, Kostüm: Elisabeth Binder-Neururer; Kamera, Schnitt: Jan Zischka; Licht: Christo Novak.
Darsteller*innen (Studierende an der MuK): Felix Erdmann, Jonas Goltz, Helena Gossmann, Zelal Kapcik, Anna Kiesewetter, Stefan Kuk, Tobias Resch, Enrico Riethmüller, Helena Charlotte Sigal. Uraufführung am 4. April 2019, MuK im Dschungel Wien.
Gespielt wird bis 11. April 2019 für Zuschauer*innen ab 12.
Fotos: © Franzi Kreis