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David Wampach: „Endo“, Tanzquartier

Der Körper aktiv und passiv. Videoausschnitt, © David Wampach /Achles

Der französische Choreograf und Tänzer David Wampach (sprich Wãmpak) lässt mit „Endo“ Kunstströmungen im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts auferstehen. Gemeinsam mit Tamar Shelef und vielen Farbtöpfen erinnert er an die Happenings, die vor allem bildende Künstler*innen wie Yves Klein oder Joseph Beuys damals veranstaltet haben. Die 2017 nach einem Japan-Aufenthalt entstandene Performance hat mir im Tanzquartier ungeteiltes Vergnügen bereitet.

Tamar Shelef, David Wampach: Bilder im Bild. Alle Fotos ©  Martin ColombetDas Titelrätsel „Endo“ lässt sich mithilfe des Begriffs Endotismus lösen. Diesen gibt es auf Deutsch nicht, denn er ist in Frankreich entstanden und benennt eine eher kurzlebige und in deutschsprachigen Landen wenig bekannt Kunstrichtung. Pablo Picasso und Francis Bacon haben dem „Endotisme“ gehuldigt, um der Konzeptkunst den Garaus zu machen. Eine Schnelldefinition ist für jede(n) zu verstehen: Endotismus (endotisch) ist das Gegenteil von Exotismus (exotisch). Man darf auch mit dem Gegensatz von exogen (von außen wirkend oder entstehend) und endogen (von innen heraus wirkend oder entstehend) spielen. Um die Theorie und die langwierige Recherchearbeit des farbigen Stückes zu vervollständigen: Wampach hat sich auch mit dem japanischen Künstler Shuji Terayama (1935-1983) und der Künstlergruppe Gutaï beschäftigt, die Werkzeug und Material (Pinsel, Bleistift, Leinwand, Rahmen) verbannt haben, um den eigenen Körper zugleich als Instrument und Medium, als Objekt und Akteur einzusetzen.

Auch ohne theoretisches Fundament ist das leicht zu sehen, und vergnüglich dazu. Der Körper als Bild und dessen Maler, als Pinsel und Leinwnd zugleich. Der Beginn ist jedoch noch unklar: Eine menschliche Figur steht im dämmrigen Licht mit dem Rücken zum Publikum in der Ecke des weißen Gevierts, einem kleinen, durch zwei schräg gestellt Wände markierten Raum inmitten der großen im Dunkel liegenden Bühne der Halle G im Tanzquartier. Noch während ich rätsle, ob ich Frau oder Mann sehe, kommt die Figur näher, dreht sich um und ist von einer schwatzen Schürze bedeckt. Tamar Shelef malt mit Zopf und Kopf, Hand und Fuß.Weil diese nur am Hals der / des Tanzenden hängt und flatternd kurze Blicke erlaubt, wird klar: Ich sehe eine Frau, Tamar Shelef. Und bald kommt auch der Partner aus dem Dunkel ins weiße Zimmer. David Wampach ist leicht zu erkennen, auch wenn er den mit einem schwarzen Handschuh verhüllten Schwanz zwischen die Beine geklemmt hat. Ein fünffingriger Penis, lustig, ernsthaft. Den Rückgriff auf das vergangene Jahrhundert, als Aktionskunst und Körperbemalung als Protest gegen das Herkömmliche und den Markt neu waren, können wir vergessen. Wampach und Shelef agieren hier und jetzt, und zum Glück bewerfen sie uns nicht mit Innereien, spritzen weder mit Blut noch mit Farbe auf ihre Zuschauer*innen.

Es ist eine Performance, und da muss auch gezittert werden. Tamar Shelef zittert großartig, lässt das Rückgrat in Wellen rollen, dirigiert den Körper durch den Atem. Wampach hat die lustige Rolle im bunten Spiel gewählt, er darf den Clown mimen, hüpfen und springen wie ein Kasperl, sich ruckartig bewegen wie eine Maschine, stolz einherschreiten wie Spiderman mit roter Maske.

David Wampach, Künstler mit Humor. © Artist Video Tanzquartier WienDer Schwanz im Handschuh verschwindet, wenn der Körper zur Leinwand wird, müssen die empfindlichen Teile geschont werden. In einer kurzen Hose zieht Wampach auf dem Bauch rutschend, Arme und Hände ausgestreckt, eine breite blaue Bahn über das weiße Viereck. Also, in der Dämmerung sieht alles sehr grau aus, die Hose und der breite Weg, wenn dann die Sonne langsam aufgeht, es heller und heller wird, ist alles schön blau. Yves Klein schaut herunter. Doch so bleibt es nicht, Schwarz und Weiß und Grün kommen dazu und – nein, Gelb sehe ich keins. Ist auch gut so, denn Erwartungen sollen nicht erfüllt werden, Sehgewohnheiten verändern. Die Farben glänzen, bilden Teiche auf dem Boden, haften an den beiden Wänden und an den nun in langen Hosen steckenden Körpern.

Es wird immer lustiger. Er lässt sich mit seinem Hinterteil in die Farbsuppe plumpsen, um dem Blau ein Rot hinzuzufügen, sie verwendet die Haare als Pinsel, um Wände und Boden zu bemalen.
Ein wenig mache ich mir um die Putzbrigade Sorgen, denn vor allem Wampach verlässt immer das längst nicht mehr weiße Viereck und tanzt aus dem Zimmer. Wie werden die Fußspuren wieder entfernt?David Wampach malt mit dem Bauch eine blaue Bahn.

Bald ist alles bunt, die Wände, der Boden, die beiden Figuren, nicht mehr Mann, nicht mehr Frau, sondern Bild im Bild, aber immer noch auch Akteur und Akteurin. Manchmal schwindet das Licht und es ist so dämmrig, dass ich nur noch Farbkleckse sehe, ein abstraktes Gemälde, nicht von Kandinsky und nicht von Pollock. Doch im Gegensatz zu den Werken dieser Ikonen ist dieses mehrdimensionalen Bild beweglich, veränderlich, flüssig. Kein Abbild, keine Reproduktion längst Gewesenen, sondern ein Original, mit Energie und ganzem Einsatz (wie vielseitig die Aufgaben der aktuellen Körper sind, ist bereits expliziert) im Augenblick geschaffen.

Tamar Shelef im goldenen Licht. © David Wampach / Achles,VideoausschnittBevor mir langweilig wird, setzt die Musik, die die meiste Zeit rhythmisch klopft, anfangs einen Schmachtfetzten aus 1960 spielt, Gewitterstimmung und schmeichelnde Töne hervorbringt, also dieser Sound, von Gaspard Guilbert gemischt, zum finalen Showdown an und findet recht lange kein Ende. Immer wieder steht das Paar zur Verbeugung bereit, doch das elektronische Orchester verlangt noch einen Hüpfer, noch eine Drehung, noch einen Aspekt des Bildes. Endlich werden die Arme gereckt, wird gemeinsam an die Rampe getreten. Apotheose! Jede / jeder ein Star. Nicht für eine viertel Stunde, sondern eine ganze.

Wer will, kann sich bedeutsame Aussagen dazu ausdenken. Genderfragen bieten sich an, oder auch Kritik an der Gesellschaft, am Publikum, am Konsumwahn, am Wetter, an der Farblosigkeit der Welt …

Vorschau: "Berezina", Premiere am 1.2. 2019 in Belgien.

Ich denke gar nichts, ich habe eine perfekt inszenierte Vorstellung genossen, ein Bilderrätsel, in dem das eine durch das andere erklärt wird, und der Rebus daher nie gelöst werden kann. Zwei bestechende Akteure (recte Akteur und Akteurin) haben mit persönlichem Engagement gezeigt, wie der Maler zum Bild wird und das Bild sich selbst malt. Uraufgeführt ist „Endo“ 2017 beim Tanzfestival in Montpellier worden.
Am 1. Februar 2019 hat Wampachs jüngste Kreation, „Berezina“, eine Erweiterung von „Endo“, in Charleroi /Belgien Premiere. Statt eines Duos bewegt sich ein Sextett auf der Bühne.

David Wampach: „Endo“, Choreografie. David Wampach in Zusammenarbeit mit Tamar Shelef. Performance: Tamar Shelef, David Wampach. Licht: Nicols Boudier; Sound: Gaspard Guilbert; Zusätzliche Musik: Nisennenmondai, Tout Est Beau / Erwan Ha Kyoon Larcher. Aufführungen: 24. und 25. Jänner 2019, Tanzquartier.