Simon Mayer: „Requiem“, brut im Odeon
Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub und das Ewige Licht. „Requiem“ nennt Simon Mayer sein neues Stück, das er gemeinsam mit den Musikern Matteo Haitzmann und Sixtus Preiss erarbeitet hat. Dabei hat er etwas zu tief in die Kitschkiste gegriffen. Die Uraufführung der Koproduktion des Vereins Kopf hoch und brut hat am 5. Dezember im Odeon stattgefunden.
Musik, Licht und Performance (Haitzmann) lassen Gedanken an die ewige Ruhe oder an das Ritual einer Totenmesse oder überhaupt an den Tod nicht hochkommen, auch wenn der Titel „Requiem“ und das Vorspiel, die Waschung eines nackten Körpers, dies versucht. Dieser starr da liegende Mensch hat jedoch die Augen offen, also soll er keinen Toten darstellen. Ausgerüstet mit allerhand Verstärkern am Körper wird er auf einer Bahre in den großen Saal getragen. Auf der Bühne wartet ein Erdhaufen, im Hintergrund brennen 24 rote Lampen als Ewige Lichter. Schön düster das Setting.
Der Körper wird zugeschaufelt. Der Mann ist begraben. Doch das Publikum weiß, er wird sich gleich wiederausbuddeln. Ein Erdhaufen allein genügt nicht für einen ganzen Vorstellungsabend.
Wieder unter den Lebenden weilend, holt sich die schöne Leiche die Geige vom Himmel und saust mit ihr in rasendem Tanz um den Erdhügel herum, die Locken streichen über die Saiten, Preiss am Electronic-Pult verstärkt, wiederholt, fügt seine eigenen Sounds hinzu. Asche regnet vom Himmel. Der blonde Engel verwandelt sich in einen Dämon, braucht dazu allerhand Requisiten, auch Chemie und enttäuscht das Publikum. Denn dieses war vor Vorstellungsbeginn aufgefordert worden, auf einem Zettel zu gestehen, was es „loslassen müsste, um sich nicht mehr vor Fremden zu fürchten.“ Jetzt zerkaut der Dämon diese eingesammelten Offenbarungen, verbrennt sie auch im lodernden Feuer, weicht sie unter der tröpfelnden Dusche ein. Warum habe ich nicht nur ein Strichmännchen gezeichnet? Mit seinem Bocksfuß, der in einem Spaten endet, hinkt er, auf und um das Grab, angetrieben vom düsteren Sound und den verstärkten Bewegungsgeräuschen. Sein Grab schaufelt er sich nun selbst, legt sich hinein, die Totengräber und -gräberin eilen herbei, bedecken ihn wieder mit Erde, nur der Kopf bleibt diesmal frei.
Noch nicht das Ende! Der Zombie kommt wieder, nachdem er sich schlafend zum Engel gewandelt hat. Engel sind bekanntlich geschlechtslos, doch dieser ist ein erotisches Geschöpf, das zeigt er / sie / es mit lasziven Bewegungen unter der Tröpfeldusche. Dem Programmzettel entnehme ich, dass Mayer und Haitzmann auch noch schnell auf den Modezug „sexuelle Identität“ aufspringen. Schon klar, im Tod ist die bedeutungslos, doch auch im Leben ist es nicht die einzige Identität, die ein Mensch hat. Sich nur über das Geschlecht, einfach oder mehrfach, richtig oder falsch, klar oder unklar, zu definieren, liegt zwar im Trend, ist aber keineswegs die einzige Facette des Menschen.
Die Kirche hat sich inzwischen in eine Disco verwandelt, die roten Lampen schwingen im Takt, Stroboskop-Geflacker gebietet das Augenschließen und die Disco-Queen setzt sich eine silberne Sonne als Kopfschmuck auf, Haitzmann zeigt, dass er einen erfreulichen Anblick bietet, in seinem Nacktkostüm. Der Erdberg verführt zum Sandspielen, kleine Maulwurfshügel entstehen, die werden später mit Leuchtfarbe besprenkelt. Im Kindertheaterhaus würde jetzt ein gemeinsames „Aaah!“ zu hören sein. Im Odeon bleibt das Publikum ungerührt, wartet nach dem feierlichen Abgang des nun mit einer weißen Schleppe behafteten Geschöpfs, ob es wieder auftaucht. Doch nun ist der Tod endgültig, und wozu der Körper transformiert wird, wenn er alles Irdische losgelassen hat, will ich lieber nicht beschreiben. Es ist keinesfalls bühnentauglich.
Simon Mayer und sein Team haben ein Experiment gewagt, da ist das Scheitern inbegriffen und erlaubt. Loslassen, Neues wagen. Inzwischen ist Mayer in China, wo er sein Erfolgsstück, „SunbengSitting“ zeigen wird. Dieses Solo hat den Starruhm des Tänzers, Musikers und Choreografen begründet. Er wird die geschmäcklerische Zaubershow samt der Requisitenkiste hinter sich lassen. Ausprobieren darf man ja alles.
PS: Seine Inszenierungen nennt Simon Mayer „Kompografie“, eine Mischung von Komposition und Choreografie. Der bewegte Körper erzeugt Geräusche, die in den elektronischen Sound einfließen, die Energie, die von der Musik / den Klängen erzeugt wird, wird in Bewegung umgesetzt.
Simon Mayer mit Matteo Haitzmann und Sixtus Preiss: „Requiem“.
Idee & Konzept: Simon Mayer, Matteo Haitzmann; Künstlerische Leitung / Kompografie: Simon Mayer; Performer: Matteo Haitzmann.
Dramaturgische Beratung: Robert Stejn; Musik & Sound: Matteo Haitzmann, Sixtus Preiss; Licht Design: Sabine Wiesenbauer; Kostüm / Set Design: Romain Brau. Produktion: Kopf hoch / Anna Erb. Technischer Leiter: Jan M. Lukas. Fotos: Franzi Kreis. Uraufführung: 5. Dezember 2018. Brut im Odeon.
Weitere Vorstellungen: 7., 8. Dezember 2018.