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Jan Martens: „Rule of Three“, Tanzquartier

"Rule of Three", Tanzlust in Club-Atmosphäre. © Phil Deprez

Mit einem ohrenbetäubenden Paukenschlag eröffnet der amerikanische Drummer NAH Jan Martens Stück „Rule of Three“, das am 6. Dezember im Tanzquartier Österreichpremiere gefeiert hat. Mit voller Kraft und treibenden Beats dirigiert NAH weiterhin ein Trio aus zwei Tänzern und einer Tänzerin. In der dicht gefüllten Halle G lässt sich das Publikum scheinbar in Trance versetzen. 70 Minuten Faszination ohne Rascheln und Husten, Tanz im Club der Kontraste.

Drei können schon eine Party veranstalten. Gemeinsam tanzen, sich getrennt bewegen, Duos und Solos zeigen. Die Regel dieser Drei baut auf Kontraste. Mystische Dunkelheit wechselt mit strahlendem Licht, lauten Trommelschläge des Virtuosen NAH werden von absoluter Stille abgelöst, harte, kantige Bewegungen machen weichen Schwüngen Platz, das Herz ist ebenso beteiligt wie der Kopf. Durch Wiederholung und minimale Veränderung der Bewegungen entsteht Spannung und Dynamik im wechselnden Licht. Oft ist die Beleuchtung so diffus, dass ich nicht weiß, was ich da sehe. Gibt es diese Schmuseszene im hintersten Eck wirklich, oder bilde ich mir das nur ein? Ist das Paar innig verbunden oder will er etwas, was sie nicht will? Und die beiden Männer? Kämpfen sie übereinanderliegend oder mimen sie eine Liebesszene? Immer wieder verschwimmen die Bilder zur schummerigen Clubmusik.

Drummer NAH bleibt nur auf dem Bild im Hintergrund. Mit Trommelschlägen treibt er die Tänzer und die Tänzerin an. © Phil DeprezUnd dann der Kontrast. In strahlender Helligkeit tanzen Steven Michel, Dan Mussett und Courtney May Robertson wie unter der blinkenden Stroboskopkugel. Fesseln mit abgehackten, eckigen und eigenwilligen Bewegungen. Der Beat bringt das Blut in Wallung, das Herz schlägt im Takt, die Lust am Mittanzen wächst. Dieses anheimelnde Einverständnis der drei Tanzenden, die Verschwisterung von Musik und Bewegung, das vorherrschende Halbdunkel versetzen mich in angenehme Stimmung, sogar in Hochstimmung. Ich muss an „Negotiations“ denken, die Choreografie von Alexander Gottfarb und seinen Freunden, bei der in der TQW-Filiale in der Neustiftgasse 31, täglich acht Stunden getanzt wird. Manche Bewegungen auf der Bühne erinnern mich an die der Tänzerinnen / Tänzer im stets offenen kleinen Raum dort. „Repetition and Transformation“ gibt die Assoziation.

Getanzt wird gar nicht immer gemeinsam, oft bleibt jeder der Drei für sich, bewegt sich selbstvergessen nach dem eigenen Rhythmus. Die Positionen und auch das Licht betonen das Dreieck, eine Dreieinigkeit der anderen Art. Nur einmal wird sie durchbrochen, Courtney May Robertson zeigt in ihrem Solo ihre schwarze Seite. Im schummerigen Licht verschwimmen die Bilder. © Joeri Thiry

Die zierliche Schottin arbeitet zum ersten Mal mit Jan Martens und weiß schon, dass sie auch weiterhin mit dem belgischen Choreografen arbeiten wird. Wie ein Kind sieht sie zwischen den kräftigen Männern aus, und ist ihnen doch an Kraft und Ausdrucksstärke überlegen. Wenn die schöne Tänzerin ganz nah an die Zuschauerreihen herankommt, mit dramatischer Expressivität ihre Fratze zeigt, erhält das Stück eine neue Facette.

Nach einer Stunde scheint der Morgen im Club angebrochen, mit dem letzten Trommelwirbel legt NAH seine Schlägel beiseite, steht auf und geht. Wie schon zuvor mehrmals wechselt das Trio blitzartig das Kostüm, legt Schuhe, Socken, Hosen / Rock und Hemden ab und besetzt im Nacktkostüm die Ecken des imaginären Dreiecks. Man könnte jetzt den verdienten Applaus spenden und gehen.
Alle gemeinsam und jeder für sich.  © Joeri Thiry Doch die Zuschauer*Innen sind mesmerisiert, starren unbeweglich in absoluter Stille auf die Nackerpatzeln. Bevor diesen kalt wird, bauen sie miteinander Skulpturen, intime mit ineinandergeschlungen Gliedmaßen, akrobatische, übereinander getürmt oder experimentelle, versuchend, ob diese oder jene Konstellation auch möglich ist. Der Fantasie und Körperkunst sind keine Grenzen gesetzt, die drei Schöpfer der Laokoon-Gruppe im Vatikanischen Museum werden durch Martens Tänzer mit der Tänzerin mehrfach übertroffen. Allmählich wird Entspannung spürbar, der Beat im Blut ebbt ab, die Rückkehr in die reale Welt, das wirkliche Leben ist gewährleistet. "Rule of Three": Aufforderung zum Tanz. © Joeri Thiry
Das Publikum wartet geduldig, bis es dem Trio langweilig wird und das Ende der Vorstellung deutlich signalisiert wird. Nicht jedes Publikum harrt so lange aus. Es gibt kein Limit für die Schlusschoreografie im Nacktkostüm (ein Gag, ein Zeichen für: „Jetzt sind wir ganz wir selbst?“, eine Konvention, exhibitionistische Lust? Für mich nicht wirklich zwingend, doch auch nicht störend.), mitunter wird auch gleich nach dem Abgang NAHs applaudiert. Die Betäubung hält bei manchen weiter an, der Applaus entwickelt sich nur zögernd, wird kräftiger, bleibt vom Donnern jedoch entfernt.

Jan Martens: „Rule of Three“, Mit Steven Michel, Dan Mussett, Courtney May Robertson. Live-Musik: NAH; Kostüm: Valérie Hellebaut; Lichtdesign: Jan Fedinger; Dramaturgie: Greet Van Poeck. Produktion: GRIP. 6. Dezember 2018, Tanzquartier.
Eine weitere Vorstellung am 7. Dezember mit anschließendem Publikumsgespräch, geleitet von Alexander Gottfarb.