Ballett „Sylvia“ mit zahlreichen Debüts
Neues Spiel, neue Chance für Tänzerinnen und Tänzer. In der fünften Aufführung seiner Choreografie des Balletts „Sylvia“ am 24. November hat Manuel Legris sämtliche Solorollen neu besetzt. Die Auswahl an Ersten Solotänzer*innen und Solist*innen – Kiyoka Hashimoto, Sylvia, Masayu Kimoto, Aminta; Richard Szabó, Eros, – ist reich genug. Die Sensation aber, die mich sofort veranlassen würde, das Werk umzubenennen, ist die junge Halbsolistin als Diana. Eine Göttin, wie ich sie mir vorstelle.
Frisch in ihrer Rolle tanzten auch Zsolt Török als präsentabler Endymion, Scott McKenzie als springlebendiger Faun und Rikako Shibamoto als schmiegsam und quellenklar als Najade. Als Solojägerinnen sind Ioanna Avraam und Alice Firenze offenbar unersetzbar, die beiden Solistinnen haben bis zum 28. November, der letzten Vorstellung in diesem Jahr, die weibliche Jagdgesellschaft mit Anmut und Energie geführt.
Das Erlebnis des Abends ist, bei allem Respekt für die Leistung des gesamten Ensembles, Madison Young als Diana, Göttin der Jagd und keusche Chefin der bogenbewehrten Jägerinnen. Drei Sekunden dauert es nur, bis Young mit ihrem Auftritt während der Ouvertüre klar gemacht hat, dass sie eine mächtige Frau ist, zart und kraftvoll zugleich, voll Würde im gespannten Körper. Wenn Endymion ihr Anbeter, den sie vor langer Zeit – dieses Vorspiel ist ja ein Rückblick – zurückgewiesen hat / zurückweisen musste, um ihre Unberührtheit und damit auch die Unsterblichkeit nicht zu verlieren, ihr gegenübertritt, zeigt die Halbsolistin weitere Facetten. Sanftheit und Liebessehnsucht blitzen kurz auf. Doch schnell strafft sie sich wieder an Geist und Körper: Weg mit dem Mannsbild. Das Keuschheitsgelübde wird eingehalten. Diese Diana, jung, schön, stark, möchte man den gesamten Abend lang sehen.
Ist nicht vorgesehen. Ich habe Zeit, über die Kostüme nachzudenken, wobei mir das unkleidsame des Gottes Eros besonders auffällt. Es sind viele eines Gottes nicht würdige Verhüllungen, denn dieser komische Gott zieht sich für jede Szene neu an. Anfangs noch eher würdig, als Gott eben, der mit seinen Pfeilen mitten ins Herz trifft. Danach kommt er als Hexe, um den von Sylvias Pfeil tödlich verletzten Aminta wieder zum Leben zu erwecken. Wirft er die Verkleidung ab, steht er nahezu nackt, nur mit einem gar nicht attraktiven Schamtüchlein bekleidet vor dem Volk auf der Bühne und dem Publikum im Saal. Doch nicht jeder Tänzer hat die passende Figur. Außerdem hat Luisa Spinatelli Eros ein durchscheinendes Trikot übergezogen, das eine Brusttätowierung vorgibt. Im letzten Akt schließlich erscheint er im kurzen Tennisröckchen mit bunten Flügeln als Schmetterling. Da darf auch gelacht werden, zumal der böse Orion von der wunderbaren Diana (in wunderbarer Darstellung von Madison Young) in den Himmel geschossen wird, wo wir ihn, wie Sternengucker wissen, vervielfacht als Sternbild am Winterhimmel erblicken.
Robert Gabdullin, als Orion, Entführer Sylvias, bot dem Publikum in der linken Logenhälfte ein Ersatzprogramm für die nicht zu sehende Eros-Statue und auch den Liebesgott selbst, der nach einer Drehung der Skulptur kurz leibhaftig erscheint und den Bogen spannt. Gabdullin bereitete sich gut sichtbar auf seinen räuberischen Auftritt im 1. Akt vor. Dass ihn Sylvia schließlich (im 2. Akt) austrickst, ist keine Überraschung, dieser Orion ist kein wilder, rücksichtsloser Kerl, sondern ein sauberer, eleganter Herr. Als frisch-froher „kleiner Hirte“, der auch durch engagiertes Spiel Eindruck macht, empfiehlt sich der in der vorigen Saison engagierte Ukrainer Nicola Barbarossa. Er umwirbt die Bäuerin (bester Laune und immer verlässlich: Anita Manolova, die als „eine Bäuerin“ ebenfalls in der Liste der Debüts zu nennen ist) als Konkurrent von Arne Vandervelde, der den Solobauern zum ersten Mal tanzt. Ein Trio, das Freude macht.
Über die Musik Léo Delibes, das Orchester und den Dirigenten, Kevin Rhodes, auch nur ein Wort zu verlieren, würde ungezählte Eulen in Athen flattern lassen. Doch da bereits Eros, der eigentlich Amor heißen sollte, dann würde er nämlich Diana tatsächlich treffen, flattert, genügt das doch.
Manuel Legris nach Louis Mérante: „Sylvia“, mit zahlreichen Debüts am 24. November 2018. Gesehen am 28.11. 2018, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
„Sylvia“ tanzt ab 17. Jänner noch vier Mal.
Fotografiert hat am 24. November 2018 Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor