„Sylvia“ Debut für Olga Esina und Jakob Feyferlik
Nach der 3. Aufführung des Balletts „Sylvia“ ist daran nicht mehr zu rütteln: Ballettdirektor Manuel Legris hat mit seiner Choreografie einen Haupttreffer gelandet. Die entschlafene Sylvia ist wieder zum Leben erwacht und mit ihr sämtliche andere Figuren aus der griechisch-römischen Mythologie. Am 12. November feierten die Erste Solotänzerin Olga Esina in der Titelrolle und Solotänzer Jakob Feyferlik als ihr Partner ein reichlich akklamiertes Debut. Das Corps de ballet hat an Sicherheit gewonnen, Damen wie Herren zeigten Energie und Tanzfreude.
Olga Esina ist eine zarte, fast schüchterne Jägerin, anfangs ganz unter der Herrschaft der schönen Diana (Ketevan Papava in königlicher Haltung) stehend. Als Tänzerin hat sie die Herzen des Publikums längst erobert, auch ist ihr die Musik von Léo Delibes auf den Leib geschrieben. Sie lässt sich von ihr tragen, ist ganz von den Klängen eingehüllt, wenn sie von ihrem Entführer Orion (Robert Gabdullin) weg und später zu ihrem Anbeter Aminta hin schwebt.
Als Aminta bietet Jakob Feyferlik ein hinreißend eindrucksvolles Erlebnis. Sowohl technisch als auch in der Rollengestaltung sicher, begeistert er schon mit dem Auftrittssolo. Keine Bewegung zu viel, kein Umherirren auf der Bühne wie ein desorientiertes Huhn, zum zarten Flötensolo tanzt er selbstsicher wie ein Gott und bleibt doch ein Mensch. Der junge Hirte scheint durch die vielen Frauen vor dem Tempel Dianas reichlich verwirrt, dennoch eilt er zielsicher auf die Schönste der Jägerinnen, Sylvia, zu und wirft sich ihr zu Füßen. Nicht sofort dankt sie ihm die Anbetung. Nolens volens schießt sie auf Befehl Dianas mit dem Pfeil auf den Eindringling. Er fällt tot um.
Sylvia bereut ihre Tat im Moment. Diesen Zwiespalt zwischen der aufkeimenden Zuneigung und dem Gebot Dianas und ihre Trauer über den Tod Amintas macht Olga Esina herzbewegend klar. Sie ist eine empfindsame, fügsame Frau, weniger kämpfende Jägerin. Hilflos in ihrer Trauer, kann sie sich gegen Orion (Robert Gabdullin) nicht wehren, er wirft sie sich über die Schulter und entschwindet in seine Höhle. Doch rechnet er nicht mit dem Gott der Liebe, Eros, der mit seinen Pfeilen für Turbulenzen sorgt und mit dem goldenen Lorbeerzweig die Schmerzen wieder heilt, Aminta ins Leben zurückruft und ihn Sylvia zuführt.
Als schöner Gott der Liebe tanzt Tristan Ridel seine erste große Solorolle und zeigt eine saubere Technik in schöner Haltung. Auch in der Verkleidung als Kräuterweib, die Eros benutzt, um inmitten des Bauern- und Hirtenvolks zu erscheinen und den scheintoten Aminta ins Leben zurückzuholen, ist Ridel durchaus ansehnlich, spielt weniger eine Hexe, als eine alte Frau, der die Bäuerinnen vertrauen. Eros und Diana sind Gott und Göttin, die die Fäden in der Hand halten und dementsprechend unnahbar und stolz auftreten. im 3. Akt schenkt ihnen Choreograf Legris einen Pas de deux – Esina / Ridel sind ein perfektes Paar.
Die Vorgeschichte zum glücklichen Ende erzählt Legris während der Ouvertüre. Auch Diana war einst einem Mann, dem Hirten Endymion verfallen, musste jedoch der Liebe entsagen, wollte Göttin und keusche Jägerin bleiben. Um die Schönheit des Jünglings zu erhalten, versenkt sie ihn in ewigen Schlaf, damit er nicht altert. An diese verlorene Liebe erinnert Eros die Göttin im letzten Akt, durchbricht ihren Panzer, sie lässt Sylvia mit Aminta ziehen.
Diana ist die römische Göttin der Jagd und des Mondes, die griechische wäre Artemis oder Selene. Der Hirte Endymion ist Grieche wie auch Eros, dessen römisches Pendant Amor ist. Da ist den Librettisten einiges aus den Götterwelten durcheinandergekommen. Doch im Sinne der Ökumene sollte das niemandem ein Problem sein. Ein Problem, ja nahezu Blasphemie, ist es, dass Diana im Programmheft (und von den Medien eifrig kolportiert) als „Frau Luna“ bezeichnet wird. „Frau Luna“ ist eine komische Operette, zu der Paul Lincke um 1900 die Musik geschrieben hat., doch weder eine römische noch eine griechische Göttin. Im Ballett gibt es auch keinen Hinweis darauf.
Legris hat in seiner Choreografie besonderen Wert auf das Corps de ballet gelegt und sowohl den jungen Tänzer*innen wie auch den Halbsolist*innen und Solist*innen keine Schwierigkeit erspart. Ioanna Avraam und Alice Firenze als Anführerinnen der Jägerinnen; Dumitru Taran als Faun, Sveva Gargiulo als Bauernmädchen zwischen zwei rivalisierenden Männern (Scott McKenzie, Géraud Wielick); Natascha Mair als Najade, Anita Manolova und Fiona McGee als nubische Sklavinnen, sie alle bewältigen diese schwierigen Schritte und Sprünge problemlos mit flinken Füßen. Das Corps hat an Sicherheit und Koordination gewonnen, tanzt fröhlich, entspannt und synchron im Takt, den Dirigent Kevin Rhodes vorgibt. Zwar dauerte der Applaus dieser Abonnement-Vorstellung nicht geschlagene 20 Minuten wie bei der Premiere am 10. November, aber lange genug, damit das Ensemble samt dem erfolgreichen Choreografen und Ensemblechef vom Publikum immer wieder an die Rampe geholt wird, um lautstark bejubelt zu werden.
„Sylvia“ Ballett in drei Akten in der Choreografie von Manuel Legris nach Louis Mérante und anderen. Musik: Léo Delibes, Dirigent: Kevin Rhodes. 3. Vorstellung am 13. November 2018, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Nächste Vorstellungen mit dieser Besetzung am 17.11.2018.
Weitere Vorstellungen: 24. und 28.11.2018 mit Kiyoka Hashimoto, Masayu Kimoto als Sylvia und Aminta.
Sämtliche Fotos stammen von Ballettfotografen Ashley Taylor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor