Toxic Dreams: Der Wal, der Österreich verschluckte
Eine Geisterschifffahrt auf dem Dachboden des Museums Quartier Wien. Nicht mit Wilhelm Hauff, der die Geschichte vom Gespensterschiff erzählt, auch nicht mit Theodor Fontane, Heinrich Heine oder Richard Wagner, die alle vom auf den Meeren umherirrenden gespenstischen Schiff berichten, sondern mit Herman Melville, der das gespenstische Schiff mit Kapitän Ahab besetzt, der in wütendem Hass den weißen Wal jagen lässt, der ihm ein Bein abgebissen hat.
Ahab tritt zwar nicht auf, doch die Mannschaft des Walfangschiffes Pequod ist nahezu vollständig anwesend: Von Ishmael, der das erste Wort im Roman „Moby Dick“ hat, den Regisseur Yosi Wanunu kennt und liebt, weil es „ein Buch über fast alles“ ist, über die sangesfreudigen Matrosen / innen bis zum Harpunier Queequeg, in Gestalt des österreichischen Grafen Ledebur, der den am ganzen Körper tätowierten Südseeinsulaner in der Verfilmung von John Huston von 1954 dargestellt hat und von niemandem anderen gespielt werden kann wie von dem am ganzen Körper tätowierten Performancekünstler und Musiker Didi Bruckmayr, der kein Südseeinsulaner sondern ein Oberösterreicher ist.
Ledebur, der mit fünf Vornamen seinen Rang im Adel der bald nach seiner Geburt 1900 zusammengebrochenen k. u. k. Monarchie beweist, ist übrigens ebenfalls Oberösterreicher und 1986 in Schwertberg gestorben, doch nun, um den Abschluss des von Toxic Dreams gezeigten Zyklus „The New-Old“ zu markieren, mit einer bisher unbekannten Geschichte, also einer erdichteten, wiederauferstanden ist. Von Hollywood hat er genug, will keine bösen Nazis mehr spielen, sondern baut ein Vergnügungsschiff, mit dem er samt Gästen auf die Suche nach dem österreichischen Wal geht.
Jetzt passt ein Zitat von Toxic Dreams über den Wal im Roman: „Der Wal ist auch Satan und Gott. Der Wal ist unergründlich. Er ist voller Bedeutungen und droht überhaupt keine Bedeutung zu haben.“ Ein Herr namens Armin Staats sagte auch etwas Gescheites: Moby Dick ist für ihn „das Drama eines symbolischen Weltverständnisses“. Außerdem lag Herr Staats schon 1972 im Trend von heute: Der Wal ist für ihn nämlich phallisches Symbol und bisexuelles Bild zugleich. Und wer genau aufpasst und sich nicht vom Vergnügen an der Jagd nach dem österreichischen Wal, dem Mythos Ö. und den kulturellen Artefakten gänzlich hin- und wegreißen lässt, wird dies alles erkennen und notieren. Und sich dann wieder im Dachboden, pardon auf dem Schiff, fast einer Galeere, auf der auch die Gäste rudern müssen / dürfen, kringeln vor Lachen, wenn in Kärnten der Steuermann Starbuck auftritt, und ihm eine fröhliche Schnellsing-Ballade gewidmet wird. Klar, jeder Insel in diesem mythischen Meer Ostarrichi ist eine Figur oder ein Ereignis des Melvilleschen Kultbuches zugeordnet. Was jenen, die den Roman nicht kennen, das Vergnügen nicht mindern muss. So recht besehen, gehöre ich sowieso auch dazu, weil mich diese ganze Männergesellschaft samt ihren Neurosen und Manien herzlich wenig interessiert. Doch aus Bildungsehrgeiz habe auch ich im symbolbeladenen Buch geblättert, wobei mir Melvilles Geschichte vom Schreiber Bartleby viel besser gefällt. Pardon, das passt gar nicht hierher, es geht ja um die Reise quer durch Österreich, auf dem Geisterschiff, von Paul Horn als großartiges Bilder- und Musikpanorama gestaltet.
Eine ein bisschen unheimliche Vergnügungsfahrt, über die gar nicht zu viel erzählt werden soll, denn nicht nur Rätsellösungen, auch die Stationen einer Suche nach dem Wal, der unser schönes Österreich verschluckt hat, dürfen nicht vor Leserinnen ausgebreitet werden, sie müssen erlebt und genossen werden.
Sich über Yosi Wanunu als blütenbekränztes Hulamädchen freuen, Assoziationen spinnen, Figuren aus dem Roman entdecken, Zitate finden, den österreichischen Wal suchen und über den Sinn dieser Reise durch den finsteren Dachboden mit der Mannschaft der Pequod nachdenken, kann man am nächsten Tag. Keine Sorge, er ist zu finden. Der Wal und seine Bedeutung.
Toxic Dreams + Fuckhead: „Der Wal der Österreich verschluckte“, Konzept / Text / Regie: Yosi Wanunu, Peter Stamer; Produktion: Kornelia Kilga; Musik: Fuckhead, Peter Stamer | Regieassistenz: Shabnam Chamani; Ausstattung: Paul Horn, Mitarbeit: Armin Spitzer, Lotte Lyon, Christina Lindauer, Saleh Muhamed, Paulina Semkowicz, Götz Bury, Roland Schmidt.
Mit: Dietmar Bruckmayr, Anna Mendelssohn, Susanne Gschwendtner, Isabella-Nora Händler, Peter Stamer, Melike Yagiz, Duygu Arslan, Barca Baxant, Onur Poyraz, Michale Strohmann, Didi Kern, Yosi Wanunu. Fotos ©: @ Sandra Fockenberger.