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Dorothée Munyaneza: „Unwanted“, ImPulsTanz

"Unwanted" von und mit Dorothée Munyaneza. © Bruce Clarke

Die ruandische Künstlerin, mit britischem Pass in Frankreich lebend, widmet ihre neue Performance den Kindern, die nach dem Völkermord in Ruanda nach einer Vergewaltigung geboren sind. Ein Jahr nach der Uraufführung im Festival von Avignon zeigen Munyaneza und ihr Team „Unwanted“ im Rahmen von ImPulsTanz im Odeon.

Schreie und Flüstern: Dorothée Munyaneza in "Unwanted"  © Christophe-Raynaud de LageMit anmutigen Bewegungen, großartigem Gesang und Sprache dringen die Darstellerinnen, Munyaneza und die amerikanische Sängerin Holland Andrews tief in das Tabu-Thema ein und verstehen es wunderbar, ihr Publikum zu erschüttern. Auch der Musiker am Regler, Kamal Hamadache, spielt mit, kümmert sich um die Geräusche des Schreckens und der Trauer.

Munyaneza ist selbst von Ereignissen 1994 in ihrer Heimat Ruanda traumatisiert. Sie war 12 Jahre alt, als das Morden begann, die Mutter weilte als Journalistin gerade in London, sie musste sich allein nach Europa durchschlagen. Drei Monate dauerte die Flucht des kleinen Mädchens. Als Sängerin und Tänzerin hat sie mit Bühnengrößen wie Mark Tompkins oder Ko Murobushi († 2015) oder Fotografin Nadin Goldin zusammengearbeitet. 2014 präsentierte sie ihr erstes eigenes Stück im Theater von Nîmes: „Samedi Détente“, benannt nach einer Wochenend-Radiosendung. Ein Jahr später war Munyaneza damit bei den Wiener Festwochen im Künstlerhaus zu Gast. Auch damit versuchte sie bereits, das ruandische Trauma zu verarbeiten, wollte sich jedoch lieber an die schöne Zeit der unbelasteten Jugend erinnern, als Freunde und Verwandte noch lebten, und Gesang und Tanz zum Leben gehörten.

In „Unwanted“ drückt sie gemeinsam mit Andrews und Hamadache den Finger tiefer in die Wunden und lässt vergewaltigte Frauen und deren Kinder sprechen. Sie selbst hat die Opfer interviewt, ihre ruhigen Stimmen sind im Hintergrund zu hören. Ihre Erzählungen in Kinyarwanda (Ruandisch) klingen wie Märchen, die man Kindern zum Einschlafen erzählt, unaufgeregt und einschmeichelnd. Munyaneza übersetzt ins Englische mit all ihren Emotionen, sie schreit und singt, schlägt mit hölzernen Mörsern um sich und windet sich in Krämpfen auf dem Boden.Trauer und Wunt: Holland Andrews, Dorothée Munyaneza. © Christophe-Raynaud de Lage

Ein Glück, denke ich, dass mein Englisch nicht ausreicht, all die Gräuel zu verstehen, wovon die Performerin berichtet. In Ruanda ist das Thema tabu, die Mütter und ihre ungewollten Kinder werden verachtet, sind Ausgestoßene; die Mütter können die Kinder nicht lieben.

Dorothée Munyaneza ist nicht nur eine charismatische Darstellerin, Erzählerin und Sängerin, sondern versteht es auch, das Publikum zu packen. Die Kontraste zwischen schneidendem Schmerz und sanftem Trost werden durch den Lichtdesigner Christian Dubet unterstützt, aufgewühlt und wieder beruhigt werde ich von der phänomenalen Vokalistin Holland Andrews. Sie wimmert tief aus dem Bauch, schmettert im Alt, röhrt im tiefen Bass und summt feenhaft im Sopran. Wenn die Erzählerin (Munyaneza) sich zurückzieht, übernimmt sie die Rolle aller Frauen, erlebt die Folter wieder und wieder.

Tompfahl von Bruce Clarke. Als Symbol für den Völkermord in Ruanda auf der Bühne. © Christiph-Ranaud de Lage. In der Mitte des Raumes steht ein Säulenstumpf, ein Totem-Kunstwerk des in Frankreich lebenden Südafrikaners Bruce , das durch zwei darauf prozierte Gestalten an die Opfer von Ruanda erinnert. Auf dem Fuß des Totems ist „no apology“ zu lesen: "Keine Entschuldigung!"

Intensiv, poetisch, ohne Pathos ist diese Performance. Musik und Gesang, Dekor und die bewegten Körper der beiden Frauen mildern das Elend, bilden einen Filter, der Abscheu und Schrecken nicht durchlässt. Einen nüchternen Bericht würde sich niemand lange anhören, niedergeschrieben würde kaum jemand diese Biografien des Grauens lesen. Die Vokalistin Holland Andrews singt und spielt mit. © Bruce Clarke Verbrämt durch eine künstlerische Darbietung sind die Schauer, die die Zuschauerin durchrieseln, nicht so schmerzhaft und schon gar nicht tödlich. Das ist schon in Ordnung so. Dorothée Munyaneza ist eine Bühnen-Künstlerin und keine Salutistin der Heilsarmee, und was sie uns vorführt, darf auch genossen werden. Nicht nur, weil sie es kann, sondern auch, weil sie es ehrlich meint. Gemütlich im Polstersessel ruht im Odeon ohnehin niemand.
Die paar Schweigesekunden nach 70 Minuten Erschütterung sind mehr als angenehm und auch passend. Die später versuchten obligaten Pfiffe und Schreie verstummen schnell wieder. Der Applaus bleibt langanhaltend.

Dorothée Munyaneza: „Unwanted“, mit Holland Andrews, Kamal Hamadache, Dorothée Munyaneza; Konzept und Choreografie Munyaneza.
Skulptur Bruce Clarke; Musik Andrews, Alain Mahé; Munyaneza; Bühnenbild Vincent Gadras; Lichtdesign Christian Dubet; Kostümdesign Stéphanie Coudert. 25., 26., 27. Juli 2018, Odeon / ImPulsTanz Festival.