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M. Stuart & M. Tompkins: „Serious Fun“, ImPulsTanz

"Serious Fun": Freiheit ohne starre Struktur © Emilia Mileska

Mit einem Einblick in das offene Laboratorium zeigten Meg Stuart und Mark Tompkins im Arsenal, was sie mit ihren Freunden und Kolleginnen in dieser Woche so getan haben. Mit der nur lose strukturierten Performance wird als „urban Lab“ fortgesetzt, was als „rural Lab“ 2016 in dem kleinen französischen Dorf Arbecey begann, nämlich Material für ein Buch über Real Time Composition zu sammeln, das die amerikanischen Performance-Künstler Meg Stuart und Mark Tompkins gemeinsam schreiben wollen. "Serious Fun" nennt das Team die Einladung ins Labor, das so ernsthaft wie unterhaltsam ist. Für die Arbeitenden und die Teilnehmer*innen des ImPulsTanz Festivals 2018.

"Serious Fun": ach sportlicher Wettkampf ist möglich  © Emilia Milewska Sie spielen Tischtennis. Oder irgend so was. Ein Cello dient als Golfschläger. Wer kann den Mund am größten aufreißen? Maria will nach Amerika: „See you there!“ Eine Flaschenkiste wird Rhythmusinstrument. Ventilatoren spielen Cello. Alles beginnt mit einem Tischtennis-Match, natürlich einem der etwas anderen Art. Die zehn PerformerInnen feuern sich an, fordern sich heraus, zögern tänzelnd, erschließen sich den Bühnenraum, der gerahmt wird von L-förmigen Sitzreihen, einem kleinen Bereich für die Musik (Schlagzeug, Cello, ein offenes Klavier und Elektronik), einer großen fahrbaren Leinwand, dem riesigen Tor der Halle, die das Studio 2 des Arsenal bildet, hinter dem, bereits im Außenbereich, ein hohes Podest steht, und dem Platz für verschiedenste Requisiten.

Weitere Bälle kommen ins Spiel. Die Tischtennisplatte wird mir Getöse in den Seitenbereich verbracht. Viele kleine Bälle liegen am Boden.Die Bälle kullern, Witzchen herausfoderdernd © Emilia Milewska Mark sagt zu Meg: „Fuck the ball!“ Eine Frau kommentiert am Micro: „It's easy to fuck a ball. But in this position?“ Ein breites blaues Schaumstoff-Band wird ausgerollt, hüfthoch schwebend gehalten, den Raum veränderlich teilend. Der Kameramann versucht, das Geschehen bestmöglich zu dokumentieren. Das Cello wird vergewaltigt. Es taugt aber weder zum Golf- noch zum Tennisschläger. Der Drummer schlägt, der Cellist streicht und zupft, die Elektronik macht rhythmische Loops daraus. Ein Mann in goldenen Glitzer-Hosen trägt einen kahlen Baum über die Bühne. Zwei Pärchen ringen miteinander. Eine Frau streift sich ein Bärenfell-Kostüm über und tanzt. Eine andere erklimmt das Podest vor dem Tor, tanzt und singt: „I wanna be in America!“. Man bittet sie lange, doch herein zu kommen.

Bodenübungen, Palaver, Tanz – alles ist erlaubt.  © Emilia Milewska Meg Stuart tanzt draußen, weit draußen, hinter dem Parkplatz. Mark wird es zu bunt, er zieht den großen schwarzen Vorhang vor das Tor. Mit Lichtleisten am Boden und einem Hand-Scheinwerfer wird ,irgendwie versucht, zu beleuchten. Das Deckenlicht hilft. Immer wieder verschwinden einige PerformerInnen am Rand, erscheinen wieder, andere gehen. Die Leinwand wird verschoben und von hinten gedrückt. Abdrücke von Händen und Gesichtern.
Zwei kleine Ventilatoren erregen die Saiten des liegenden Cellos, Elektronik verzerrt und rhythmisiert. Trommel-Schlägel auf Klavier-Saiten. Stimmen perpetuieren Phrasen. Eine Schachtel voller Tischtennisbälle wird auf dem Boden ausgelehrt, die Bälle verstreut. Dann eine Kiste voller Glasflaschen: Scheppern und Scherben.
Mark sagt: „This is the end!“. Meg gibt ein Handzeichen, das „T“ für „Ende“, und schmunzelt. Beifall und Jubelrufe.Echtzeit Komposition bedeutet Spontanität © Emilia Milewska

Echtzeit-Tanzimprovisation ist nur sehr selten auf der Bühne zu sehen, denn sie ist riskant. Meg Stuart und Mark Tompkins verlassen mit dieser Arbeit die sicheren Pfade einer perfekt choreographierten, geprobten und optimierten Performance, in der jeder seine Rolle, die der anderen, den Ablauf und das Ergebnis kennt, noch bevor er/sie die Bühne betritt. Eine „Real Time Composition“, wie sie hier zu sehen war und noch zwei weitere Male gezeigt wird, verlangt hingegen Offenheit und Sensibilität für alle inneren und äußeren Impulse, für das zur Verfügung stehende und entstehende Material sowie für die möglichen Beeinflussungen durch das gleichzeitige Live-Performen und Live-Choreographieren. 

Die an diesem Abend entstandene, einzigartige, weil nicht wiederholbare Performance war reich an Dynamik, Komplexität durch Parallelität, besaß hohe Energie und ungemeine Dichte. Die entstandenen Spannungsbögen und der nie unterbrochene Fluss beeindrucken um so mehr, Einer aber muss das Ende des spaßigen Ernstes signalisieren. © Emilia Milewska wenn man weiß, dass, wie mir Mark Topkins am Abend erzählte, nur drei Tage Vorbereitungszeit zur Verfügung standen, die vor allem zur Sichtung des im weitesten Sinne vorhandenen Materials genutzt wurden.

Das entstehende Buch über Real Time Composition, die auch mit Hilfe solcherlei Performances erforscht wird, ist auch philosophisch intendiert. In diesem Sinne mag diese Arbeit auch als Entwurf einer Gesellschaft stehen, die den Anderen wahrnimmt, achtet, toleriert und respektiert. Eine Utopie von einer Welt freier und empathischer Menschen, die für eine Stunde lang Wirklichkeit geworden ist.

Meg Stuart & Mark Tompkins: „Serious Fun“, von und mit: Meg Stuart, Mark Tompkins, Gilles Toutevoix, Volmir Cordeiro, Maxime Dupuis, Elisabeth Francisca, Marc Lohr, Maria F. Scaroni, Mariana Tengner Barros, Marcio Canabarro.
25. Juli 2018, Arsenal im Rahmen von  ImPulsTanz.
Weitere Vorstellungen: 27. und 28. Juli 2018, Arsenal.