Choy Ka Fai: Performances und Ausstellung
Dreifach ist der in Berlin lebende Künstler aus Singapur Choy Ka Fai bei ImPulsTanz 2018 vertreten. Die hintergründigen Performances „Dance Clinic“ und „UnBearable Darkness“ spielen mit der, mitunter unverlässlichen, Technik, mit Wissenschaftsgläubigkeit und Kultfiguren. Die Ausstellung „The Wind that Cuts the Body“, wie die Vorstellungen, im Odeon zu sehen, dokumentiert Choy Ka Fais Auseinandersetzung mit Butô und Tatsumi Hijikata, einem der Gründer des Ankoku Butô („Tanz der Düsternis“). Bei Choy Ka Fai gilt aber immer der schöne italienische Satz: „Se non è vero, è ben trovato.“ Heute würde man sagen: Sind es keine Fakten, so ist es beste Fiction.“
In diesem Sinne ist Choy Ka Fai nicht ganz ernst zu nehmen. Er würzt seine Vorstellungen mit Ironie und schwarzem Humor, bleibt jedoch in seinen „dokumentarischen Performances“ selbst ganz ernst. Als es in „Dance Clinic“ um die Heilung von Choreografien durch Messung der Hirnströme ging, benötigte ich eine Weile, um den Witz des weißgekleideten „Dance Doctor‘s“ zu erkennen. Zwei Tänzer und eine Performerin werden getestet, worauf sie unbewusst reagieren. Das von Cho Ka Fai, der interaktives Design studiert hat, und seinen Technikern entwickelte Programm ist die künstliche Intelligenz „Ember Jello“. Nachdem die gemessenen Wellen in allen Farben über die Videowand geplätschert sind, bekommen die Patient*innen Ratschläge, wie sie besser werden können, um beim Publikum anzukommen. Damit ihre Choreografien auch für die Zukunft taugen. „Ember Jello“ wird es bald als App für Android und iOS geben. Wer Diagnose und Therapie benötigt, wende sich an die „Dance Clinic“.
Schon Gotthold Ephraim Lessing hat die Bewegungen des tanzenden Körpers mit der Technologie, jener, die im 18. Jahrhundert eben zur Verfügung stand, nebeneinandergesetzt und ist zu dem Schluss gekommen, dass der „Gliedermann“, die Marionette, mehr kann als der Menschenmann / die Menschenfrau, länger in der Luft bleiben vor allem. Jetzt benutzt der Dance Doctor Neurowissenschaften und Künstliche Intelligenzen (oder künstlich Intelligente, wie der Doctor sagt), um uns auf unsere bedingungslose Anbetung der neuen Technologien aufmerksam zu machen, oder auch, um die gern geschürten Ängste vor dieser zu zeigen. Wann werden wir keine Choreograf*innen mehr brauchen, weil die KI (mit Doctors Hilfe) die passende Musik auswählt und gleich dazu die passenden Bewegungen ansagt?
„Nichts ist besser, sich von seinen Traditionen zu lösen, als der Tanz. Nur der Tanz ist in der Lage, einen Körper der Zukunft zu entwickeln.“ Choy Ka Fai dixit. Und begibt sich auf die Reise in die Vergangenheit, um den Mythos Tatsumi Hijikata (1928–1986) zu erwecken und zu entmystifizieren. Gemeinsam mit Kazuo Ôno (1902–2010 sic) gilt er als Begründer des Butô, der ein Anti-Tanz ist, sich gegen das erstarrte Japanische Theater, gegen die westliche Tanzgesellschaft (und hat sich auf diese, nämlich den deutschen Ausdruckstanz in den frühen 1920er Jahren berufen), gegen sämtliche Tradition wendet. In Japan zelebriert noch eine kleine Gemeinschaft die strengen Regeln des Butô, erzählt Choy Ka Fai. In der westlichen Welt ist Butô längst nicht mehr nur Bühnentanz, sondern auch Freizeitsport und Therapie. Auch wenn Hijikata und Ôno von der Geburt des Butô 1959 bis 1966 gemeinsam aufgetreten sind, so sind ihre Choreografien gänzlich unterschiedlich. Ôno pflegte den Butô, wie er auch in Europa bekannt ist, gemessene, intensive Bewegungen der Muskeln, Sehnen und Fasern, im Solo nackt oder dunkel gekleidet, Gruppenchoreografien werden oft im reinen Weiß gezeigt. Hijikata feierte tatsächlich die Revolution auf der Bühne, rührte an Tabus, tanzte wild und ekstatisch als gefährlicher Dämon oder wilder Teufel. 1968 zeigte er „Hijikata Tatsumi und das japanische Volk: Rebellion des Körpers“ mit einem gewaltigen, goldenen Phallus. Diesen zitiert auch Choy Ka Fai, wenn es ihm um die Zertrümmerung des Mythos geht: „Butô hat sich von seinen Wurzeln geöst, er ist nun frei“, meint der Forscher und meint damit auch, dass auch der Tanz (die Tänzer*innen) keine Götter aus der Vergangenheit braucht.
Dennoch wird Tatsumi Hijikata beschworen, durch ein Medium nahm Choy Ka Fai Verbindung mit ihm auf, Hijikata willigt ein, mitzutanzen. “Diese unerträgliche Finsternis“ beginnt mit einem Beschwörungsritual. Geleierte Mantras, emphatische Gesten, sollen den Geist Hijikatas herberufen. Einstweilen wandert ein Gitternetz von weißen Wellen und kleinen Icons über die Wand. Hijikata ist digitalisiert, sein Avatar soll vom Tänzer, dessen schwarze Handschuhe als Sender dienen, gesteuert werden. Doch der Geist weigert sich, der schon erwähnte Crash ruft die Technik-Crew auf die Bühne, das Publikum wird mit einem Gläschen Wein gelabt.
Die emsigen Elektronikingenieure erwecken die Avatare wieder zum (scheinbaren) Leben, die Show diesmal ohne Unterbrechung. Das Medium schlägt den kleinen silberhell klingenden Gong, der rotgekleidete Teufel tanzt im elektronischen Netz und bewegt auch den Geist der Butô-Ikone. Noch ist der lebendige Körper gelenkiger, der Avatar bewegt sich abgehackt und stolpernd, imitiert die Bewegungen berühmter toter und lebender westlicher Tanzgrößen. Das Erbe hat die Archive und Tempel verlassen, ist digitalisiert und animiert. Was das über den Tanzkörper der Zukunft aussagt, erschließt sich mir nicht, aber die Show ist amüsant und durch die drohende Möglichkeit des Technikversagens auch überaus spannend.
Wie in der „Dance Clinic“, erscheinen am Ende zuerst sämtliche Avatare in Unterhosen auf der Videowand, verbeugen sich artig, danken für den Applaus, den das Publikum etwas verwirrt spendet. „Die Entladung“ muss sein, das hat schon Elias Canetti*) erkannt, Applaus ist ein Zwang, ob sich ein Mensch auf der Bühne verneigt, oder nur aufgereihte künstliche Figuren die Köpfe neigen. Die Masse wird endlich doch belohnt, die lebendigen Individuen erscheinen auf der Bühne samt dem Schöpfer dieser nun in strahlendes Licht aufgelösten Dunkelheit.
Choy Ka Fais Inszenierungen sind virtuos und glamourös, kompakt und unterhaltsam, und immer mit einem Augenzwinkern auf die Bühne gestellt.
Choy Ka Fai / ImPulsTanz Festival im Odeon :
„Dance Clinic“: Tanzdoktor Choy Ka Fai; drei Tanzpatienten: Darlane Litaay, Jereh Leung, Florentina Holzinger. 19. und 21. Juli 2018.
„UnBearable Darkness“: Konzept, Dokumentation & Leitung Choy Ka Fai; Choreografische Anwesenheit & Paranormale Performance Hijikata Tatsumi; Dramaturgie: Tang Fu Kuen; Dance Engineering, Motion Capture & Performance: Pijin Neji; Schamane in Ausbildung, Übersetzung & Performance Inoue Tomoko; Musik Raffael Seyfried; Kostüm Rie Usui; Visuelles Design, Technologie Brandon Tay; Lichtdesign Ray Tseng with Andy Lim / ARTFACTORY; Programmierung, Interface Design: Yusuke Kimura. 20. und 22. Juli 2018.
„The Wind that Cuts the Body“: Ausstellung mit einem gleichnamigen Film; einer Auswahl aus dem Hijikata Tatsumi Archiv, gefilmten Interviews mit Erinnerungen an Hijikata und „Hijikata Zwei Punkt Null“, einem „unmöglichen Archiv verlorener Bilder und einem Paralleluniversum.“ Bis 12. August 2018 zu den Vorstellungen des ImPulsTanz Festivals.
*) Elias Canetti: „Masse und Macht“, Fischer Taschenbuch, 1980, 34. Auflage. 592 S. € 16,50.