„Rakete“, Minifestival im Tanzquartier Wien
Choreografie & Performance einer neuen Generation“ untertitelt das Tanzquartier Wien die erste Ausgabe eines neuen Formates, das sechs höchst unterschiedliche nationale und internationale Arbeiten auf die Bühne oder die Leinwand gebracht hat. Manches fesselnd, auch bewegend, anderes sogar begeisternd. Möglichkeitsräume werden eröffnet, Zukunftsräume gezeigt, und Humor hat auch nicht gefehlt. Die unterschiedlichen Performances ergeben als Resultat ein „Gelungen.“
Unter der Haut.
Ein in den Außenbereich vor den Tanzquartier Studios einfahrendes, wegen lauter Pop-Musik schon vor dem Sichtkontakt wahrnehmbares Auto ließ bereits akustisch ahnen, was kommen würde. Luca Truffarelli, auch für den Sound verantwortlicher, im weiteren Verlauf jedoch nicht mehr sichtbare Co-Performer, öffnet den Kofferraum, dem eine kurzgeschorene Doherty entsteigt, die den Freiraum einschließlich provokanter Annäherung an das umstehende Publikum nutzt, um eine erste ihrer verschiedenen Rollen zu spielen und zu tanzen. Fortsetzung der Performance im Studio. Auf sehr eindrückliche, berührende, präzise getanzte Art und unter für sie sehr forderndem Stimmeinsatz (sie röhrt zeitweise unweiblich tief) stellt sie diverse, von der Zivilisation ausgespuckte männliche Randexistenzen (Prolls, Macker, Kleinkriminelle, Schläger) auf die Bühne, ohne diese jedoch zu desavouieren. Dieses völlig zu Recht mehrfach preisgekrönte Stück geht unter die Haut. Die aus Belfast stammende Nordirin weiß, wovon sie spricht. Eine bemerkenswerte Arbeit.
Oona Doherty: „Hope Hunt & The Ascension into Lazarus“
Imagination und Manifestation
Die aus Madrid stammende und in Amsterdam lebende bildende Künstlerin und Tänzerin/Choreografin Andrea Zavala Folache brachte mit ihrer Performance „Some“ eine Mixtur aus Bewegung, Video, Text und Gesang auf die mit einem kleinen Podest, Lichtleisten, Monitoren und Live-Kameras bestückte Studio-Bühne. Das durch 3 „Assistenten“ unterstützte Solo erzeugte durch Gleichstellung von Objekten und Subjekt Perspektivenwechsel, verstärkt durch vorübergehende physische Abwesenheit von der Bühne, während der das „Out-of-Stage-Geschehen“ per Video-Kamera auf die Monitore übertragen wurde. Der so entstandene Möglichkeitsraum zwischen Imagination und Manifestation, zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit, befüllt zudem mit Text und Gesang (ein modifiziertes „Nothing compares to you“), und das alles nicht ganz humorlos, wurde zu einer überraschenden Gelegenheit, eigenes Wahrnehmen und Erleben zu reflektieren. Ein unkonventioneller Schluss (Zavala Folache bat ihre Assistenten zu sich an den Bühnenrand und dankte dem Publikum) beendete diese sehr sympathische Arbeit.
Andrea Zavala Folache: „Some“
Humor für posthumane Körper
Die in Wien lebende gebürtige Tschechin Anna Prokopova (sie studierte Philosophie,Tschechisch und zeitgenössischen Tanz) und der ebenfalls hier ansässige gebürtige Grieche Costas Kekis (Choreograf, Dramaturg und Performer) präsentierten mit „Knuckles become clouds“ den Entwurf einer Arbeit, die die Interaktion von Menschen mit Menschen, aber auch anderen Spezies untersucht. Gemeinsam mit der Isländerin Andrea Gunnlaugsdottir (Tänzerin, Performerin und Performancegestalterin) zeigten sie auf humorvolle Weise, wie sogenannte posthumane Körper und Hirne physisch und sprachlich agieren und interagieren könnten. Die räumliche Bezogenheit der zuckenden Körper aufeinander, ihr Stellungsspiel und die Versuche, mittels durch phonetische Einleitungen erweitertem Sprachmaterial den Blick auf gelebte, meist nicht reflektierte Kommunikationsformen zu schärfen, kamen beim teils höchst amüsierten Publikum gut an.
Anna Prokopova, Costas Kekis, Andrea Gunnlaugsdottir: „Knuckles become clouds“
Auf dem Laufsteg
Ein schwarzer Körper, in kräftig gefärbter Hose und Jacke, stolziert im schmalen Bühnenraum hin und her. Das Publikum sitzt rechts und links des Catwalk, sieht begeistert, wie der zum Model mutierte Tänzer den typischen „walk“ professioneller Vorführerinnen neuester Modedesigner-Entwürfe auf dem Steg überzeichnet. Erstes Johlen.
Der in Johannesburg geborene, nun in Salzburg lebende, am dortigen SEAD zum zeitgenössischen Tänzer und Choreografen ausgebildete Mzamo Nondlwana entwickelte sein Solo-Stück „My garden flourishes with flowers“ zu einer Auseinandersetzung mit einer imaginären Welt, in der ein queeres, selbstbestimmtes Subjekt, schwarz, in eine Zeit reist, in der Vergangenheiten, Gegenwarten und mögliche Zukünfte verschmelzen, in einen Raum, in dem er, sich nackt auf dem Boden und sehr publikumsnah bewegend, einlädt, seine ureigenen Vorstellungen vom „So-Sein“ zu hinterfragen. Akzeptanz und Toleranz nicht nur fordernd, sondern selbstverständlich voraussetzend, berührte Nondlwana, unterstützt durch den kraftvollen, sehr rhythmischen (und lauten, dennoch hervorragenden) Sound des Komponisten Rondon Marcos.
Eine Arbeit, die wegen ihrer Authentizität, ihrer Kraft und gleichzeitigen Sensibilität vom Publikum gefeiert worden ist.
Mzamo Nondlwana: „My garden flourishes with flowers“
Singendes Cowgirl
Eine junge Frau in einem das Gesäß bedeckenden grauen Shirt bewegt sich vom Bühnenrand langsam, gebeugt, etwas verkrampft, die Unterarme nach vorn gerichtet, zur Mitte hin. Dort entwickelt sich ein durch abrupte Wechsel gezeichnetes Spiel aus gekrümmter Anspannung und ge- und überstreckter Entspannung. Die gebürtige Dänin und nun in Amsterdam lebende Choreografin, Performerin und Sängerin Sigrid Stigsdatter Mathiassen entwirft in ihrer Performance „REMEMBRANE“ eine Welt, in der ein Cowgirl zwischen Kampf und Gelassenheit, wütender Selbstzerstörung und erstarkter Identität schwankt. Lange still, dann begleitet von einem dänischen Song vom Band und ihrem eigenen Gesang, bei dem sie eine gute, auch kraftvolle Stimme offenbart, unterstützt sie mit Sprache ihre Choreografie durch stammelndes „I'm a cowgirl“, abgebrochen durch einen von plötzlicher körperlicher Gelöstheit unterstützten Ausruf „I'm so happy!“. Das Publikum dankte sehr freundlich.
Sigrid Stigsdatter Mathiassen: „REMEMBRANE“
Die Kamera im Darm
Die Leinwand zeigt helle, pastellige, unscharfe und ineinander übergehende Farbflächen, die sich verändern und bewegen. Untertitel, in der einen etwa fünf Minuten langen Schleife deutsch, in der anderen englisch. Der Wiener Filmemacher, Autor und Performer Stefan-Manuel Eggenweber wirbt in seiner Video-Installation „Ein Passivistisches Manifest“ für eine emanzipatorische Aufwertung der passiven Position, in gesellschaftlichem, sprachlichem, hetero- und homosexuellem wie queerem Kontext.
Zum Ende hin wird das Bild schärfer: Man begreift letztlich, dass hier die Bilder der Kamera eines sich langsam durch den Enddarm hinaus bewegenden Rektoskopes zu sehen sind. Final dürfen wir, nun ohne jede Unschärfe, den Anus betrachten. Na gut. Wir haben verstanden.
Es stellte sich mir jedoch, bei aller Berechtigung einer solchen Thematisierung, die Frage, ob tatsächlicher Tiefgang einhergeht mit der rektalen Eindringtiefe.
Stefan-Manuel Eggenweber: „Ein Passivistisches Manifest“ (Video-Installation)
„Rakete“, 2teiliges Mini-Festival an zwei Wochenenden im Mai 2018 mit jeweils 3 am kommenden Tag wiederholten Performances/Installationen. Mit den im Text genannten Performer*innen. 3.+ 4. / 10.+11.Mai 2018, Tanzquartier.