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Wael Shawky: „The Song of Roland: Arabic Version“

Musiker und Sänger auf der Bühne.© Janto Djassi

Mit seiner ersten Theaterarbeit stellt sich der bildende Künstler und Filmregisseur Wael Shawky im Rahmen der Wiener Festwochen 2018 im Theater an der Wien vor. Mit 18 Musikern und Sängern zeigt er einen Teil seiner Übersetzung des „Rolandsliedes“ aus dem 11. Jahrhundert ins Arabische und gibt der Heldensage aus der Zeit Kaiser Karl des Großen eine neue Perspektive. „The Song of Roland: The Arabic Version“ schließt an seine Film- Trilogie „Cabaret Crusades“ mit „The Horror Show File“, „The Path do Cairo“ und „The Secrets of Karbala” an und ist, nebst all der Tiefe des Gedankens, eine großartige, magische Stunde.

„Le chanson de Roland“ ist ein altfranzösisches Versepos über das Ende Rolands, eines Vasallen Karl des Großen (747–814), der mit ihm in den Krieg zog, um die in Mittelspanien herrschenden islamischen Sarazenen zu vertreiben. Diese waren um 711 aus Nordafrika nach Europa vorgedrungen; Karl zog 778 gegen die „Heiden“ zu Felde. Die acht  Stationen des Rolandsliedes in einem Bild (15. Jh.). Heremitage St Petersburg © public domain

Shawky hat das Epos ins klassische Arabisch übersetzt und lässt einige Strophen daraus, vor allem den Tod Rolands betreffend, von Musikern aus Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten aufführen. Wie es sich für ein „chanson de geste“ (eine mündlich überlieferte Heldensage, bei der alle theatralischen Ausdrucksformen wie Gesang, Pantomime, Worte verwendet werden) gebührt, sitzen die Sänger und Instrumentalisten (Trommeln und Tonkrüge, die mit der Hand geschlagen dumpfe Töne erzeugen) nicht nur unbeweglich auf der Bühne, sondern stehen auf, recken und strecken sich (im Schneidersitz zu singen und die Trommel zu schlagen, kostet Kraft), machen einen Hüpfer und ein paar Tanzschritte. Dabei sind die prächtig bestickten Mäntel zu sehen, die alle tragen.

Getrommelt wird auch auf Tonkrügen. © Janto DjassiDie Männer singen im Chor und als Solisten, die Schlaginstrumente geben den Rhythmus an. Die Melodien sind die traditionellen Gesänge der ehemaligen Perlenfischer, die bis ins Mittelalter zurückgehen. Bevor die Ölquellen sprudelten lebten die Menschen von der Perlenfischerei, ihre Musik heißt Fidjeri und hat für Shawky eindeutig afrikanische Wurzeln und ist für ihn auch mit der Geschichte der Sklaverei verbunden. So bildet er eine Brücke zwischen der Zeit der Kreuzzüge und heute, zwischen Afrika und Europa.

Der International renommierte Künstler aus Alexandria setzt die aktuelle Kulturarbeit immer wieder mit der Vergangenheit in Verbindung. Auch das zauberhafte Bühnenbild – Shawky sieht die gesamte Bühne als ein einziges Bild, die Stunde der Vorstellung als eine einzige, lange Filmszene – entpuppt sich als Klammer. Die exotisch gekleideten Männer sitzen auf goldbraunem Boden, als wären sie in der Wüste, im Hintergrund ragt ein buntes Panorama von Häuschen, Türmen, blauen Teichen und in rosa Licht getauchten Wegen auf. Es ist Musiker bei der Probe, Hamburg 2017. Aus dem Video für ttt – titel, thesen, temperamente © ARD | Das Erste aus 600 Einzelteilen zu einem Mosaik zusammengesetzt, das drei Städte – Aleppo, Bagdad, Istanbul – darstellt, die während der Kreuzzüge eine Rolle gespielt haben und heute wieder Krisenherde sind. Das Tableau ist aus bunten Miniaturen des osmanischen Universalgelehrten Matrakçi Nasuh (* um 1480, † 1564) gepuzzelt. Die Lichtregie lässt es in den Städten Tag und Nacht werden, die Sonne untergehen, die Dunkelheit hereinbrechen und das Bild im Bild nahezu dreidimensional erscheinen. 

Hört man dem etwas monotonen, stark rhythmisierten Gesang zu, bei dem sich die Solisten immer wieder, sachlich und leise erzählend oder aggressiv und fast schreiend berichtend, hervortun, so bekommen die knappen Sätze (der Text wird oberhalb des Bühnengeschehens ins Deutsche übersetzt) eine völlig neue Bedeutung. Nicht die tapferen Helden und christlichen Kämpfer für ihren Gott stehen im Mittelpunkt, sondern die blutenden und massakrierten Sarazenen, der sinnlos leidende Mensch.

Das Hintergrundbild im Bühnebild © Janto DjassiBeeindruckend dass der intensive Gesang, der nahezu unbeholfene karge Text und der unaufgeregte Gesang des Chores, der sich zwar im Rhythmus, aber kaum in der Lautstärke ändert, keiner klingenden Lanzen, trampender Pferde oder spritzender Blutströme bedarf, um die Grausamkeit dieses Kreuzzuges lebendig werden zu lassen, in dem die Helden strahlend weiß sind und von Engeln geleitet werden. Die Blutenden, die Gefolterten, die Sterbenden werden kaum erwähnt und wenn, dann mit dem genauen Wissen des Erzählers (schriftliche Aufzeichnungen der Saga erfolgten erst später), wer das Recht für sich gepachtet hat. Wael Shawky und sein Team machen klar: Der Künstler Wael Shawkyin hamburg 2017- Aus dem Video für ttt titel thesen temperamente 2017  © ARD Das ErsteSo einfach ist das nicht.
Die Geschichte kennt nur einen Blickpunkt, den des Erzählers, Schreibers und vor allem des Auftraggebers, also des (der) Regierenden. Man weiß das, doch es ist heilsam, dass es immer wieder in Erinnerung gerufen wird. Und wenn das auf so ästhetisch schöne und magische Weise geschieht, lasse ich mich gerne erinnern. Ein Geschichtsmuseum ist diese arabische Version des Rolandsliedes nicht, doch sie weitet den Horizont, ändert die Blickrichtung. Der Zeigefingers des Oberlehrers wird nicht gebraucht.

Wael Shawky: „The Song of Roland: The Arabic Version“, Uraufführung in Hamburg 2017. Leider nur zwei Aufführungstermine, am 14. und 15. Mai 2018. Im Rahmen der Wiener Festwochen.