Balanchine | Neumeier | Robbins: Spitzenbesetzung
Der gemischte Abend, quer durch 40 Jahre Ballett, bringt mit Choreografien von George Balanchine, John Neumeier und Jerome Robbins reichlich Abwechslung. Die erste Hälfte ist Balanchine gewidmet: „Stravinsky Violin Concerto“ ist 1972 entstanden und zeigt zwei unterschiedlich agierende Paare, umgeben von acht Damen und acht Herren im stetigen Fluss der Musik. Als Kontrast ist „Thema und Variationen“ zur Musik von Peter Tschaikowsky zu erleben. Nikisha Fogo reißt in ihrem Debüt als Solistin des 1947 uraufgeführten Werks zu Beifallsstürmen hin. John Neumeiers „Bach Suite III“ (1981), reiner Tanz für zwei Solopaare und sechs Tänzer*innen, sowie Jerome Robbins fröhliche Charade „The Concert – or, The Perils of Everybody“, mit Irina Tsymbal und Eno Peçi (Wiener Premierenbesetzung 2011, Uraufführung in New York 1956) runden den Abend ab.
In Balanchines Choreografie zu Igor Strawinskys Konzert in D für Violine und Orchester brillieren Ketevan Papava mit Eno Peçi sowie Liudmila Konovalova mit Mihail Sosnovschi als Solopaare. Schon im ersten Satz, wenn sich die Solist*innen und die sie umgebenden Paare vorstellen, wird mit nach oben gestreckten Armen, geworfenen Beinen, und eckigen Bewegungen klar: Der klassische Tanz ist passé. Die Damen tanzen in schwarzen Trikots, die Herren mit dunklen Hosen und weißen Oberteilen. Im zweiten Satz legt die Solistin (Papava) ihrem Partner (Peçi) ein Bein über die Schulter, schlägt Brücken, steht auf den Händen, dreht sich von ihm weg. Großartig. Im letzten Satz, Capriccio, tragen die Damen kurze schwarze Röckchen, das Ensemble umkreist die beiden Paare. Zurecht zeigt sich das Publikum begeistert.
„Thema und Variationen“ (Tschaikowsky: Orchestersuite Nr. 3 G-Dur, 4. Satz Thema con variazioni) erhält für mich seine Berechtigung diesmal nur durch das Debüt Nikisha Fogo als Solistin. Ausdrucksstark fegt sie über die Bühne und lässt dennoch nichts an klassischer Exaktheit missen. Ihren Drehungen und Pirouetten kann ich kaum mit den Augen folgen. Das Publikum tobt. Fogos Partner ist Denys Cherevychko – die Liebe des Choreografen gilt eindeutig der Ballerina. „Thema und Variationen“ ist in Wien 1998 ins Repertoire aufgenommen worden, Christian Lacroix, damals ein geschätzter Modeschöpfer, war als Kostümbildner gerufen worden. Heute verweisen die zuckerlfarbenen Tutus und Korsagen in Gelb und Orange in eine längst vergangene Zeit. Balanchines Erinnerungen an das russische Ballett, im Ballet Theatre, New York, uraufgeführt, gehört weltweit zu den beliebtesten Repertoirestücken. Ohne die Zauberin Nikisha Fogo könnte ich gerne darauf verzichten.
Stattdessen könnte ich gleich zwei Mal hintereinander John Neumeiers Bach-Choreografie sehen. Die beiden Solopaare, Maria Yakovleva und Roman Lazik sowie Fiona McGee und Richard Szabó entzücken gleichermaßen. Doch macht das erste Paar mit einer wunderbaren Aura von Reife und Gelassenheit klar, welch emotionale Tiefe Tanz erreichen kann. Davon profitieren auch die drei Spitzenpaare Ioanna Avraam / Leonardo Basilio, Alice Firenze / Dumitru Taran, Natascha Mair / Alexandru Tcacenco. Einstudiert hat die Premiere Susanne Menck, einst Tänzerin im Hamburg Ballett und akribische Choreologin der Neumeier-Choreografien.
Zum Finale doppelte Freude: Irina Tsymbal ist die „Ballerina“, zum ersten Mal nach der Babypause schwebt sie wieder über die Bühne. Diese eigenwillige, beflügelte Ballerina hat einen Stalker, den „Ehemann“, eine geniale Rolle für den genialen Tänzer Eno Peçi. Nur wer, wie er, den Humor wirklich in sich trägt, wer Freude an der Komik der Rolle hat, kann das Publikum zu Lachstürmen hinreißen. Dies gelingt auch Trevor Hayden, der zum ersten Mal als „schüchterner Jüngling“ auftritt, jedoch bereits als Choreograf gezeigt hat, dass er Witz und Intelligenz hat. Gala Jovanovic debütiert als „Ehefrau“, die dieser untreue Ehemann vergeblich zu ermorden versucht. Doch am Ende ist er ein Käfer, das Ensemble wirbelt beflügelt über die Bühne, und Pianist Igor Zapravdin hat samt Schmetterlingsnetz die letzten Hüpfer. Die Lacher hat er schon bei seinem Auftritt gehabt, den er als Star zelebriert und sichtlich genossen hat. Jerome Robbins hat mit seinem gar nicht so leicht zu tanzenden satirischen „Concert“ für beste Unterhaltung mit Niveau gesorgt. Auch das kann der Tanz bieten.
Balanchine | Neumeier | Robbins: „Stravinsky Violin Concerto“ + „Thema und Variationen“ | “Bach Suite III” | “The Concert or, The Perils of everybody”. 9. Aufführung in dieser Kombination der Werke, 16. April 2018. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Nächste Vorstellung. 5. Mai 2018 in geänderter Besetzung. Einzig Tsymbal und Peçi versprühen wieder Lebensfreude und Komik.
Fotos von Ashly Taylor / © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor