ProART: Duo "Oneness", Solo "Blatný"
Der auch in Österreich bestens bekannt Tänzer, Choreograf und künstlerischer Leiter seiner ProART Company, gastierte an zwei Abenden im Off-Theater und zeigte ein Solo und gemeinsam mit seinem Kollegen Lukáš Leopold ein Duo. „Oneness“, das Duo, ist eine Choreografie über den Moment und seine Flüchtigkeit. Mit „Blatný“ erinnert Dvořák an den tschechischen Lyriker Ivan Blatný (1919–1990).
Egal, was und wo Martin Dvořák tanzt, ob im Innsbrucker oder Linzer Ballettensemble unter Jochen Ulrich oder als freier Tänzer in eigenen Kreationen, er beherrscht die Bühne mit verblüffender Ausdruckskraft. Nicht allein seine oft düstere, auch bedrohliche Mimik spricht, auch mit dem gesamten Körper gibt der Tänzer seine Emotionen zu erkennen, erzählt von seinem Innenleben und auch Geschichten.
Dvořák ist auch physisch ein überragender Mann, groß und schlank, mit ebensolchen Gliedmaßen drückt er sich mit den beweglichen Zehen ebenso beeindruckend aus wie mit den Händen – Pianistenhände, die gleich mehrere Oktaven überspannen können.
In „Oneness / Einzigartigkeit“ entsteht im Duett mit dem Tänzer Lukáš Leopold (weder sehr groß noch sehr schlank) ein wunderbarer Kontrast.
Gefühle kann der Körper besser und authentischer vermitteln als alles Geschwätz; Gedanken allerdings, theoretische Überlegungen sind schwer in Mimik und Gestik umzusetzen. Ist auch egal: es sind zwei ausgezeichnete Tänzer zu sehen, die miteinander kaum kommunizieren, sich lediglich mit den Fußsohlen berühren und um ihre Balance ringen, allein (im Plié auf einem Bein) oder gemeinsam, einander umkreisend, umschlingend, mit den Beinen, mit dem Torso, synchron den Raum durchmessen, die Hände suchend ins Nichts streckend. Zwei Tänzer, die ihren Körper beherrschen und in voller Harmonie und Spannung sich miteinander bewegen, einander treffen und wieder trennen, konzentriert auf den Augenblick, die genannte „oneness“, achten, um sich gleich wieder in die vom Körper diktierten flüssigen Bewegungen einzulassen. Und am Ende die Anfangsposition einnehmen, ausgestreckt liegend, nur die Fußsohlen nehmen Kontakt auf. Für einen Augenblick ist die Balance vollkommen.
In „Blatný“ ist Dvořák allein auf der Bühne, ist der Dichter, der 1948 mit einer Delegation nach London reisen durfte und nicht mehr zurückkam. Er wollte frei sein, frei schreiben, was ihm in den Sinn kam. Die kommunistische Regierung brandmarkte ihn als „Verräter“ und entzog ihm die Staatsbürgerschaft, verbot seine Gedichte. Ivan Blatný starb mit 69 Jahren in einer psychiatrischen Anstalt in Colchester. „Vielleicht hat er die Krankheit nur gespielt“, sagt Martin Dvořák mit einem Augenzwinkern. „Damit er Ruhe hat und nicht verfolgt wird. Er hatte Angst und wollte nichts als sich seiner Literatur zu widmen.“
In seinem Solo widmet sich Martin Dvořák dem Dichter und dessen Werk. Lyrisch und wild, verzweifelt und konzentriert, der biegsame Körper drückt alle Schichten der Gefühle aus und erinnert in angedeuteten Arabesken, Pliés und kleinen Jetés auch daran, dass er seine Ballettausbildung noch nicht vergessen hat. Diese, in seinem Geburtsort Brünn / Brno absolviert, verbindet ihn mit Leopold, der ebenfalls in Brünn geboren ist und das dortige Tanzkonservatorium besucht hat.
Die zweitgrößte Stadt Tschechiens, nur 100 km von Wien entfernt, galt in der Monarchie als „Manchester Österreichs“, hat ihren Theaterbau im 19. Jahrhundert vom Architekturbüro Fellner & Helmer erhalten und von den Habsburgern ein berüchtigtes Gefängnis in der Festung Spielberk, erbaut von Přemysl Otakar II im 13. Jahrhundert. Dort ist auch der Dichter Ivan Blatný geboren.
Wenn man will, biet der Abend, der nicht nur in Wien gezeigt worden ist, neben großartigem, ausdrucksvollem Tanz den Zuschauer*innen auch neue Erkenntnisse. In Brünn müsste man sein!
ProArt: „Oneness. Blatný“, ein Tanzabend mit Marin Dvořák und Lukáš Leopold, 14.April 2018, Off.White Box.