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„Raymonda“: Masayu Kimoto tanzt Jean de Brienne

"Raymonda", Keyfoto © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor

Rudolf Nurejews Choreografie nach Marius Petipa des Balletts „Raymonda“ hat sich zum Publikumshit entwickelt. Auch die 13. Aufführung seit der Neueinstudierung 2016, die 53. insgesamt seit der Premiere im Jänner 1985, war ausverkauft und wurde begeistert aufgenommen. Vor allem Masayu Kimoto als Ritter Jean de Brienne und Eno Peçials sarazenischer Fürst Abderachman, beide hatten ihr Rollendebüt am 2. April 2018, wurden mit Jubel gefeiert.

Nina Poláková, Masayu Kimoto: Ein harmonisches Paar. Alle Bilder: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Eine gewöhnliche Repertoire-Vorstellung, die durch den Einsatz des energiegeladenen Corps de ballet und die Darsteller_innen der Hauptrollen zu einer außergewöhnlichen wird. Nina Poláková in der Titelrolle begeistert durch Anmut und intensive Rollengestaltung. Eine Raymonda, die vor Glück strahlen und vor Abscheu schaudern kann. Delikat ist ihr Solo im Grand Pas Hongrois im 3. Akt. Im verschleppten Tempo des Klaviersolos muss sie präzise und gestochen scharf die allmähliche Steigerung des Czárdás zum rasanten Finale zeigen. Eine überaus schwierige Variation. Poláková schafft es mühelos, strenge Klassik und anrührende Menschlichkeit zu vereinen. Die Angst vor dem besitzergreifenden Abderachman ist verflogen, sie hat ihren Prinzen auf dem weißen Pferd bekommen.
Masayu Kimoto in der Rolle besticht durch sanfte Landungen seiner Sprünge, perfekte Haltung und selbstsicheres Auftreten. Er ist ein tapferer Ritter, aber kein besonderer Reiter. Masayu Kimoto als Ritter Jean de BrienneBeim Lanzenstechen auf den hölzernen Pferden macht Eno Peçi als Abderachman deutlich bessere Figur. Da wünsche ich mir doch, dass er gewinnt. Die Choreografen wollen es anders: Abderachman ist ein Mann, Jean de Brienne eher ein Jüngelchen, dass er im Kampf gegen die Sarazenen ganz vorne reitet, traue ich ihm nicht zu. Doch er darf die junge Raymonda gewinnen.
Dennoch, der Ungarnkönig (Igor Milos), der als eine frühe Variante eines Rosenkavaliers fungiert, ist da schon von anderem Stoff. Bei der großen Hochzeitsfeier im 3. Akt tanzt er mit der Gräfin Sybille (Alena Klochkova), Tante von Raymonda, die ihr den Bräutigam ausgesucht hat, so feurig, dass ich denke, wenn das junge Paar endlich im Schlafzimmer gelandet ist, gibt es eine zweite Hochzeit. Andreas II., König von Ungarn, und Gräfin Sybille ergäben ein schönes Paar.

Eno Peço als verführerischer AbderachmanWenn Eno Peçi den Abderachman tanzt, dann sehe ich keinen unbeherrschten Frauenräuber, sondern einen reichen Fürsten, der beherzt und hartnäckig fordert, was er begehrt. Diesmal klappt es halt nicht, das Duell mit dem Ritter Jean endet mit seinem Tod. Davor aber darf der Fremde aus dem Morgenland zeigen, dass er nicht nur stampfen und springen kann, sondern auch, sich sanft in den Hüften wiegend, orientalischer Verführer ist. Peçi ist ein so erfahrener Tänzer, dass er sich ganz auf seine Rollengestaltung konzentrieren kann. Einfühlsam denkt er sich in die Figuren hinein und charakterisiert sie ganz neu. So ist sein Abderachman ein Fremder mit vielen Facetten und Raymondas Ablehnung und Furcht mildern sich zusehends. Doch kaum erscheint ihr Ritter in silberner Rüstung, hat Abderachman, ob mit Geschenken antanzend, wild fordernd oder erotisch lockend, verloren. Poláková / Kimoto haben einander zu einem harmonischen Paar gefunden, doch die Choreografie verlangt, dass er so oft hinter her tänzeln muss. Das gibt den anstrengenden Variationen der Raymonda einen besonderen Reiz. Raymonda (Poláková) tanzt träumend mit dem Brautschleier
Übrigens, bei den Geschenken, die Raymonda verschreckt ablehnt, befinden sich auch vier goldene Knaben (oder sind’s Mädchen?), die nimmt sie gerne an. Sie schlafen neben ihr, sind aber danach auf immer verschwunden. Wird wohl auch damit zusammenhängen, dass Kinder nach 22 Uhr nicht mehr auf der Bühne sein dürfen. Das Ballett macht fast einer Wagner-Oper Konkurrenz, dauert es doch mit den Pausen mehr als drei Stunden.

Sei’s drum, die Tänzer_Innen verlieren keineswegs ihre Energie, drehen und springen bestens gelaunt durch die Provence, wo die Handlung spielt, als Sarazenen, Spanier und Ungarn – Damen wie Herren natürlich. Eindrucksvoll spanisch kommt Dumitru Taran mit Alice Firenze daher; Fiona McGee tanzt nach ihrem Rollendebüt am 2. April zum 2. Mal das Sarazenen-Duo und zeigt mit Francesco Costa, dass sie nicht nur eine liebliche Elfe ist. Das Publikum ist hingerissen. Fiona McGee und Francesco Costa im SarazenenduoUnd auch die beiden Troubadoure (Scott McKenzie, Richard Szabó) samt den Freundinnen Raymondas (Nikisha Fogo, Natascha Mair) begeistern immer wieder von neuem. Die bereits bewährten Paare erfreuen durch perfekte Variationen und ihr fröhliches Spiel samt überspringender Tanzfreude.

Kevin Rhodes gibt am Dirigentenpult dem Orchester und den Tänzer_innen das perfekte Tempo vor, lässt das Blech zu Kampf und Krieg rufen, die Geigen zur Liebe säuseln. Das Publikum zeigt seine Anerkennung mit warmem Applaus.

„Raymonda“, Ballett in drei Akten nach einem Libretto von Lydia Paschkowa und Marius Petipa; Choreografie: Rudolf Nurejew nach Marius Petipa. Mit Nina Poláková, Masayu Kimoto, Eno Peçi, Nikisha Fogo, Natascha Mair, Scott McKenzie, Richard Szabó.
Außerdem bemerkenswert: Alice Firenze, Fiona McGee, Rikako Shibamoto, Xi Qu und Dumitru Taran in mehreren Rollen. 53. Aufführung am 7. April 2018, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison: 12. April 2018, mit Maria Yakovleva, Denys Cherevychko, Eno Peçi und Rollendebüts von Adele Fiocchi, Elena Bottaro, Marian Furnica, Arne Vandervelde (Freundinnen und Troubadoure).