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Helena Waldmann: „Gute Pässe, Schlechte Pässe“

Trennende Mauer, von Menschen gebildet. © Bernadette Fink

Eine Mauer aus 22 Menschen bildet das eindrucksvolle Zentrum von Helena Waldmanns jüngstem Stück „Gute Pässe, Schlechte Pässe“, gezeigt im Rahmen des Osterfestival Tirol in Innsbruck. Waldmann setzt sich mit Grenzen, realen und virtuellen, auseinander und lässt Tänzer*innen und Akrobat*innen diesseits und jenseits der lebenden Mauer agieren, um zu zeigen, dass die Barrieren auch auf der Bühne bestehen. Die mit den guten Pässen dürfen dableiben, die mit den schlechten müssen gehen.

Chinese Pole: Lebende Flagge. © Bernadette FinkDie lebende Mauer wird aufgestellt, die Fahnenstange errichtet, „Achtet die Tradition“, sagt eine Stimme aus dem off. Noch sind alle beisammen, doch bald werden sie immer von neuem getrennt, mit ihrer Antwort auf unterschiedliche Fragen. „Haben Sie eine Kreditkarte?“, „Waren Sie schon einmal vorbestraft?“ „Haben Sie zwei Pässe?“, „Sind Sie glücklich?“ „Ja oder Nein!“ Immer neue Gruppen entstehen. „Wir und die anderen!“, der Mensch braucht das, um sich zugehörig zu fühlen. Doch bald wird die Grenze strenger gezogen, mit einem weißen Klebeband werden die Artist*innen von den Tänzer*innen getrennt. Keiner darf in den Raum der anderen eindringen. Die Tänzer*innen bemalen ihre Gesichter. Es herrscht Krieg. Die Fahnenstange wird errichtet. Noch trennt sie die Gemeinschaft nicht. © Malyshev

Die Akrobaten unterhalten turnend das Publikum. Perfide lässt Waldmann dazu die Ouvertüre zu „Tannhäuser" spielen: Untertitel der Oper von Richard Wagner: „Der Sängerkrieg auf der Wartburg.“ Auch aus Jean-Philippe Rameaus Ballettoper „Les Indes galantes“ wird zitiert. Und als Höhepunkt der Ironie erklingt immer wieder die Pop-Hymne „We are the world“, doch bevor sich noch jemand im 1980er-Sound wohlig einrichten kann, bringen bedrohliche Klänge die Zuschauer*innen wieder auf den Boden der Tatsachen.

Spektakuläres Klettern an der Stange. ©  MalyshevDie „Mauerbauer“, so nennt Waldmann die 22 Frauen und Männer, die sich  als Mitwirkende gemeldet haben, bilden den Kern des Tanzstückes und betonen immer von neuem Waldmanns Intentionen. Wenn sich am Ende durch die „Ja / Nein -Fragen“ wieder neue Gruppen bilden, muss auch die Zuschauerin nachdenken, was sie antworten würde, wohin sie sich stellen würde, rechts oder links. An der gegenüberliegenden Wand stehen die Anderen. Nach dem Wettstreit der Akrobaten und Tänzer*innen macht sich die Mauer selbstständig, formiert sich immer von neuem, übernimmt die Herrschaft über das Geschehen. Die Welt ist voller Mauern. Manche braucht sie auch.

Mit dem gut gemeinten Engagement der (exzellenten, nimmermüden) Zirkusakrobaten hat Waldmann ihr Stück verwässert und teilweise platt gemacht. Wenn Carlos Zaspel als lebende Flagge an der Stange weht, die Gruppe später die vom Mittelalter bis ins Barock so gern gemalte „Kreuzabnahme“ nachstellt, erfreut man sich an eindrucksvollen Bildern und effektvoller Zirkuskunst. Das Publikum lacht gern. Balanceakt mit Leiter. Akrobatik lässt staunen und unterhält. © Malyshev

Jonglieren, Trampolinspringen, Chinese Pole (Akrobatik an der Stange) oder Balanceakte verlangen zwar Körperbeherrschung und Muskelkraft, zielen jedoch vor allem auf effektvolle Unterhaltung ab. Subtile Aussagen zu treffen, komplexe Gedankengänge anzuregen, Rollen zu spielen, bleibt dem Tanz vorbehalten.

Waldmanns Behauptung, dass für Akrobat*innen im Tanz oder Ballett quasi ein Auftrittsverbot besteht, kann ich nicht unterschreiben. Viele freie Tanzgruppen arbeiten mit Tänzer*innen, die ein akrobatisches Training hinter sich haben, oder auch mit Akrobaten, die gelernt haben, sich tanzend auszudrücken. Auch große Compagnien (Wayne McGregor, Sidi Larbi Cherkaoui) integrieren Akrobaten in ihre Choreografien. Eingefügt in eine stringente Choreografie erfüllen sie eine spezielle Rolle oder erweitern Bewusstsein und Körperkunst durch eine zweite Ausbildung. Die lebende Mauer als Klagende. © Malyshev
Dass aber die Grundvoraussetzungen und auch die Publikumserwartungen für beide Genres unterschiedlich sind, ist nicht zu leugnen.
Nicht jede /jeder kann alles, nicht jede / jeder kann, was sie / er kann, gleich gut. Die Welt ist kompliziert. So kompliziert wie mancher Satz, in dem allen gerecht werden soll, zu lesen ist.

Der begeisterte Applaus gilt allen, den Tänzer*innen, den Akrobaten und den Mauerbauer*innen.

Helena Waldmann: „Gute Pässe, Schlechte Pässe – Eine Grenzerfahrung“, Tanzregie, Bühne & Konzept: Helena Waldmann. Tänzer*innen und Akrobaten: Sara Enrich Bertran, Antonia Modersohn, Enrico Paglialunga, Tjorm Palmer, Lysandre Coutu-Sauvé, Declan Whitaker, Carlos Zaspel & 22 freiwillige Mauerbauer*innen. Eine Produktion von Helena Waldmann und ecotopia dance productions.
26. März 2018, im Rahmen des 30. Osterfestival Tirol.