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Radhouane El Meddeb: Als die Araber noch tanzten

Giulio Rosati (1858–1917): Im Harem. © public domain, lizenzfrei

Mit seinem internationalen Erfolgsstück „Le temps où les Arabes dansaient …“ erinnert sich der Choreograf Radhouane El Meddeb an jene glücklichen Zeiten, als Lebenslust und Sinnenfreude verpönt, Glanz, Glamour und der Tanz noch nicht verboten waren. Drei Tänzer zeigen die nostalgische Performance im Rahmen des Osterfestival Tirol 2018 im Salzlager / Hall i. T.

Als Symbol für die Sehnsucht nach mehr Freiheit, nach dem Ende der Zensur und stumpfer Betäubung in autoritär beherrschten Ländern dient ihm der Bauchtanz. Eine Kunst, nur von Frauen ausgeübt. Auf der Bühne tanzen Männer. Für El Meddeb wird „der Bauch zur Waffe, die Revolution ist der Unterleib. Seine Parole ist der Nabel.“ Männer haben auch einen Bauch und können tanzen, wie einst nur Frauen durften. Alle Fotos von Victor Malyshev
Ganz zaghaft beginnen die drei Tänzer, Arthur Perole, Rémi Leblanc-Messager, Youness Aboulakoul, auf bloßen Füßen mit kleinen Schritten zu kaum hörbarer Musik ihren Tanz mit dem Rücken zum Publikum. Sie versuchen die Hüften zu schwingen, das Becken kreisen zu lassen, die Arme elegant zu heben; stoppen immer wieder, als würden sie sich gewahr, dass dieser weiche, verlockende Tanz nichts für Männer ist.

Offenbar reuig werfen sich die Tänzer sogar zum Gebet auf die Knie. Danach jedoch sind sie nicht mehr zu halten. Die Musik schwillt an, die Bewegungen werden immer flüssiger, sinnlicher, verführerischer, aus der Zigarette steigt Rauch auf, in Solos und Duos wiegen sich die Tänzer. Doch das Ende ist absehbar. Nach seinem perfekten Bauchtanzsolo wird Perole ein schwarzes Hemd als Kopftuch übergestülpt, ratz-fatz auch das Gesicht verhüllt. Ende des erotischen Treibens. Es ist dunkel geworden. Verführung, Liebesgenuss, Körperfreundlichkeit, Spiel und Tanz, das darf nicht mehr sein. Wütend stampfen die Tänzer den Boden. Das Weibliche wird aus dem Männerkörper verbannt.

Faszinierendes Solo mit kreisendem Becken.Im Hintergrund sieht man Ausschnitte aus Kinofilmen der 1970er Jahre. Um wenig Geld konnte man sich in den bunten Shows dem grauen Alltag entziehen. Schöne Frauen schwebten nabelfrei, mit knappem Oberteil und glitzernden Röcken auf hohen Stöckeln über die Stufen. Einschmeichelnde Melodien verführten zum Träumen und Mitsingen. Ein Festessen für Heranwachsende. Der Ausgangspunkt einer ursprünglich als fröhlichen Abend geplanten kabarettistischen Tanzshow. Dann verkehrte sich der „arabische Frühling“ in einen eisigen Winter, El Meddeb war nicht mehr zum Feiern zumute.
Im aktuellen Tanzstück schimmert der einstige Glanz nur noch schemenhaft durch, die Erotik ist verhalten, der Spaß, wenn Männer wie Frauen tanzen, ist auch den Tänzern vergangen. Noch einmal geben sie sich den sinnlichen Bewegungen hin, lassen das Fleisch tanzen, die schwingenden Bäuche der Damen auf der Leinwand locken, die Bühne wird zu einem orientalischen Cabaret. Allzu langes Träumen ist dem Publikum nicht gegönnt, die Tänzer stoppen abrupt, die Musik ebenso, die Bilder werden grau, die Tänzerinnen verblassen, flimmern noch als Schatten über die Leinwand, als würden sie einen Abschiedsgruß winken. Das Orignal: Samia Gamal  im Film "Valley Of The Kings" © wipedia public domain, lizenzfrei
Die Zeiten, als die Araber noch tanzen durften, sind vorbei. Radhouane El Meddeb geht es in seinem Stück nicht um weinerliche Nostalgie, das Jammern um eine verlorene Zeit, sondern um die Bekundung des aufrichtigen Willens, weiterhin zu tanzen – für Freiheit und Frohsinn.

Seit der Premiere 2014 in Lyon und der Aufführung im Tanzquartier Wien 2016 hat das einstündige Tanzstück sich verändert, ist ernsthafter, intimer geworden und spiegelt so die schweren Gedanken wider, die arabische Künstler_innen allgemein und Radhouan El Meddeb im Besonderen beschäftigen.
Radhouane El Meddeb, Schauspieler, Tänzer und Choreograf, ist in Tunesien geboren, lebt und arbeitet in Frankreich. Er ist seiner Heimat treu geblieben, als Besucher kehrt immer wieder zurück. Auch die Tänzer, Youness Aboulakoul, Rémi Leblanc-Messager, Arthur Perole, leben in Frankreich und treten in verschiedenen Compagnien, auch mit eigenen Solostücken, auf.

Radhouane El Meddeb: „Au temps où les Arabes dansaient …“, Konzeption und Choreografie: El Meddeb in Zusammenarbeit mit Moustapha Ziane. 27. März 2018, Salzlager, Hall in Tirol, im Rahmen des Osterfestival Tirol 2018.