Out of control 17: Beet.Symph.Fünf im off-theater
Im Rahmen des Festivals für neues Musiktheater “out of control” zeigt das bernhard. ensemble, wie man heute Ludwig van Beethovens 5. Symphonie neu hören und auch sehen kann. Mit elektronischen Kompositionen von Wolfgang Mitterer, Bernhard Fleischmann, ASFAST und Ursula Winterauer + Fauna wird Klassik in Zeitgemäßes verwandelt. Die Tänzerin und Choreografin Anna Hein verwandelt mit fünf Performer*innen die neue Musik in Körpersprache. Exzentrisch, fantasievoll und intensiv, wie auch Kostüme und Ausstattung von Devi Saha. Idee und Regie steuert Ernst Kurt Weigel bei.
Die Musik hört sich unerwartet angenehm an, allerdings lässt lediglich Mitterer Beethoven tatsächlich anklingen. In den drei Folgesätzen finde ich keine bekannten Tonfolgen wieder. Kann an meiner Unkenntnis der schon lange nicht gehörten Fünften liegen, stört mich jedoch nicht. Das sonderbare Setting – ein Zimmer mit einer Sitzbank, zwei Ohrensesseln samt der einst in allen Schlafräumen präsenten Psyche und einer Bushaltestelle samt grünem Mistkorb – und die expressiven, ausdrucksstarken, nicht nur den Körper, sondern auch die Mimik der fünf Tänzer*innen fordernden Bewegungen fesseln die gesamte Aufmerksamkeit.
1. Satz, Allegro con brio: Beethoven, natürlich Beethoven mit wallendem Grauhaar und kniekurzer Trachtenhose, tritt auf. Hinter ihm tänzeln zwei Damen, biedermeierlich gekleidet, die blonden Haare geflochten und zu Affenschaukeln gebunden, allerliebst. Doch das bleibt nicht lange so. Die Körper biegen und beugen sich, die Münder spitzen sich, die Zungen schmatzen, die Augen rollen. In der Folge gesellen sich zwei eigenwillige Männer zum Trio. Sie geben mir durch seltsame Zeichen mit den Armen und Händen Rätsel auf. Lesen sie unsichtbare Bücher, betrachten sie sich in unsichtbaren Spiegeln, welche Sprachen sprechen sie, was wollen sie erzählen? Wie sehr die Choreografin Wert drauf legt, dass der gesamte Körper, von der gerunzelten Stirn über die beweglichen Arme und Hände bis zu den bald nackten Füßen zum Publikum spricht, ist frappierend. Eine Herausforderung für die Performer*innen.
Die Fünf agieren, als stünden sie unter einer fremden Macht, nicht sie selbst bewegen sich, sie werden bewegt, kriechen auf dem Boden, glotzen einander mit maskenhaft verzerrter Miene an, versuchen auch ein Tänzchen miteinander zu wagen, kriechen dann wieder in sich selbst zurück.
Im zweiten Satz (Andante con moto, Bernhard Fleischmann liefert die nahezu einschmeichelnde Musik) werfen sie die Kleider ab, die die Männer wie zweigeteilt erscheinen ließen, und stehen, liegen, rollen in der Unterwäsche umher. Empfangen Pakete mit neuen Kleidern, die aber enthalten nur Babywäsche. Kein Erstaunen der Beschenkten, im Gegenteil mit Akrobatik, Kraft und Geschick ersuchen sie sich in Schühchen, Strumpfhöschen und Pullöverchen hineinzuzwängen, holpern, stolpern rutschen so gut es geht zu ihrem Tagewerk.
Später schleudert die Musik (3. Satz, Allegro, von ASFAST) Blitze und lässt den Donner grollen, die Insassen des Zimmers – mir scheint es liegt in der Irrenanstalt – empfangen ihre Befehle von oben, gebannt warten sie auf die nächste Einflüsterung. Bis es dann am Ende, im vierten Satz, Allegro, komponiert von Ursula Winterauer + Fauna, richtig geisterhaft wird, sich die fremdbestimmten Körper zusammenkuscheln und aufgeben.
Die vier Sätze der 5. Symphonie dauern auch in der zeitgemäßen Bühnenversion nur unwesentlich länger als im Konzertsaal. Anna Hein bezieht sich in ihrer Choreografie auf die populäre Bezeichnung des Werks, „Schicksalssymphonie“ nach dem markanten Anfangsmotiv, das als das „Pochen des Schicksals“ interpretiert werden kann, und lässt die Körper von ihrem Schicksal erzählen. Grausig eigentlich und bedrückend, wie sie diesem nicht entkommen können. Dynamisch und expressiv bewegen sich die Körper (es sind keine Rollen erkennbar), erlauben mir, Geschichten auszudenken oder an Beethoven zu denken, der, taub geworden, seine eigene Musik nicht mehr hören konnte.
Die beeindruckenden Bilder, die Anna Hein und die Tänzer*innen entwerfen, bleiben noch lange im Gedächtnis. Ein rätselhaftes Stück Tanz- und Musiktheater, das der Leistung sämtlicher Mitwirkender Respekt abverlangt.
2017 out of control und das. bernhard.ensemble: „Beet.Symph.Fünf“, Die fünfte Symphonie, fünf zeitgenössische Komponist*innen, fünf Performer*innen.
KomponistInnen: Wolfgang Mitterer, Bernhard Fleischmann, ASFAST, Ursula Winterauer + Fauna; PerformerInnen: Vivienne Causemann, Carina Werthmüller, Kajetan Dick, Gerald Walsberger, Michael Welz; Idee und Konzept: Ernst Kurt Weigel; Szenische Leitung, Choreographie: Anna Hein und Ernst Kurt Weigel; Ausstattung: Devi Saha; Regieassistenz, Technik: Jennifer Skriwan. Bilder von Barbara Palffy.
Uraufführung am 16. November 2017 im Off Theater, off.White.Box.