Michikazu Matsune: „For Now“, brut im Hamakom
In seiner neuesten Performance beschäftigt sich der aus Japan stammende Installations- und Performance-Künstler Michikazu Matsune mit der Vergänglichkeit und dem Leben im Jetzt. „For Now“ ist eine leise, überaus feine, poetische Arbeit, die durch Bedachtsamkeit, Genauigkeit und hintergründigen Humor besticht.
Gerne spielt Matsune mit Wörtern und Begriffen, schreibt sie auf Zettel oder, wie diesmal, auf kleine Holzbrettchen, die er im Bühnenraum verteilt, um zwischendurch und rundherum, verträumt langsam oder eifrig schnell, zu tanzen. Diesmal sind es Verben, die er dem Publikum, das an beiden Hälften der Bühnenlängsseiten sitzt, zu lesen und zu grübeln gibt. Auf der jeweiligen Rückseite steht das Antonym: aufbauen / zerstören, teilen / zusammenfügen oder hoffen / bewältigen, zurechtkommen. Lediglich dem Verb fortsetzen gibt er kein Gegenteil. Beide Seiten des Auditoriums sehen die Botschaft: weitermachen / continue. Dazu klingt meditative asiatische Glockenspielmusik. Räucherstäbchen werden nicht angezündet.
Doch da sind wir schon mitten im Stück, am Anfang nimmt sich Matsune Zeit, einen Großteil des Publikums persönlich mit Handschlag zu begrüßen. Danach schenkt er dem Publikum und sich Zeit, zu atmen. Ich bewundere währenddessen sein Styling: Das orangefarbene Futter seiner weißen Hose (praktisch mit Gummizug) korrespondiert mit den Schuhbändern; die Farbe der Schuhe mit dem bronzefarbenen T-Shirt. Das Notizbuch, das er hervorholt, ist ebenfalls orange. Hinreißend. Vorlesend erzählt er von Kindheits- und Jugenderinnerungen. Wenn Matsune kleine Geschichten verschenkt, lässt er sie immer mit einer lakonischen Pointe enden.
Auch über das Austauschen und Teilen sinniert er gemeinsam mit dem Publikum. Dazu verteilt er Steine, kleine Bilder, winzige Musikwalzen und Spieluhren, allen liegt ein Zettel mit Anweisungen bei, wie die Leihgabe zu behandeln ist, auf manchen steht einfach: Winke! Es gewird gekichert und geschmunzelt, wir teilen auch unsere Aufmerksamkeit.
Später, wenn Matsune mit Obst und Gemüse einen Garten aufgebaut hat, durch den er wandert, erzählt er von seinen Eltern, mit denen er, auf Besuch zu Hause, über den Tod und das Begräbnis und was danach kommen könnte, diskutiert. Nun sind seine Eltern seit einem Jahren tot, und er hat sie so begraben, wie sie es sich gewünscht haben. Der Aufforderung, nachzudenken, wie wir sterben und begraben werden wollen, bedarf es nicht. Doch was soll’s: „Ich lebe jetzt“, sagt der Performer trocken.
Schließlich wird der Garten aufgeräumt, aus Gurken und Kohlkopf, Granatapfel und Banane türmt er bunte Skulpturen, die stachlige Ananasfrucht, von der er einmal geträumt hat, sie verwandle sich in eine Sternschnuppe, wird selbst magisch, damit sich jede und jeder etwas wünschen kann. Geduldig arbeitet er an seinen Figuren, baut sie wieder auf, wenn sie zusammenstürzen: continue!
Das Premierenpublikum ist gebannt, es bleibt still, während der Künstler abgeht. Der Applaus setzt erst ein, als er sich verbeugend wieder auftritt. Dann aber will er gar nicht enden. Continue!
Michikazu Matsune ist ein sorgfältig arbeitender Künstler, der es versteht, sein Publikum mit kühlem Understatement zu fesseln und gleichzeitig zu unterhalten. Seine Überlegungen über die Ungereimtheiten und Probleme in der Welt, in der er lebt, trägt er mit feiner Ironie nahezu stoisch, ohne eine Miene zu verziehen, vor und besticht durch Authentizität und Glaubwürdigkeit.
Michikazu Matsune: „For Now“, Sound Yuji Oshima, Musik: Hiroshi Yoshimura, Hofli, Takashi Tsuda, Grageband. Künstlerische Assistenz Andrea Gunnlaugsdóttir. Uraufführung am 17. November 2017, brut im Hamakom.
Weitere Vorstellungen: 18., 19. November 2017.