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„Feuervogel“ – Rollendebüt für Andrey Teterin

Andrey Teterin mit den unbändigen Schüler_innen.

Im dreiteiligen Abend, den heimische Tänzer als Choreografen zur Musik Igor Strawinskys kreiert haben, kommen nahezu alle Mitglieder zum Zug. Diesmal, in der vorletzten Vorstellung dieser Saison, ist es Andrey Teterin, der in „Petruschka“ den Lehrer tanzt. Géraud Wielick springt, schnell entschlossen, für den erkrankten Trevor Hayden als einer der Chefquälgeister in der Schule ein: auch ein Debüt. Der Abend wurde enthusiastisch beklatscht, wobei Choreograf Andrey Kaydanovskiy für das Einspringen als Koschey im „Feuervogel“ mit langanhaltendem Sonderapplaus bedacht worden ist. Noch ein Böser, aber kein Debüt mehr, Halbsolist Kaydanovskiy tanzt und spielt die von ihm erdachte Figur zum dritten Mal.

Andrey Teterin legt den Lehrer in „Petruschka“ in der Choreografie von Eno Peçi nicht gleich von Anfang an als frustrieten, willenlosen Schlappi an, sondern ist mit exakten Sprüngen, heftigen Armbewegungen und durchaus freundlicher Miene ein Lehrer, wie man ihn gerne sieht. Erst als er mit seinen Aufrufen zum „Miteinander“ und zu „Respekt“ nicht durchkommt, Schüler wie Schülerinnen immer wilder und aggressiver werden, gibt er auf, sackt als armselige Fetzenpuppe zusammen, wird wie diese herumgeworfen und lässt sich schicksalsergeben zu Tode quälen. Der Lehrer und seine Frau (Andrey Teterin, Natascha Mair). Alle Fotos © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor Wielick meistert seine frisch übernommene Rolle nach anfänglichen Unsicherheiten von Sprung zu Sprung besser, wird sicherer und lockerer, sodass ein völlig neuer junger Rüpel (an der Seite Arne Vanderveldes) zu sehen ist. Souverän die beiden Solotänzerinnen Natascha Mair (Frau des Lehrers) und Nikisha Fogo (Schuldirektorin). Die eine, der Rolle gemäß, schüchtern, verstört und verführbar; selbstbewusst, affektiert, menschenverachtend die andere. Die technisch anspruchsvollen Pas de deux und den ebensolchen Pas de trois mit Teterin meistern Arme und Beine, die Rollen der Kopf.

Alexandru Tcacenco (sorgsam in flinker Präzision mit Nikisha Fogo) und Francesco Costa (überraschend weich und elegant mit Sveva Gargiulo) tanzen zum ersten Mal in „Movements to Stravinsky“ von András Lukács, wobei ein Unterschied zu den anderen, bereits erfahrenen Tänzern (Jakob Feyferlik, Masayu Kimoto, Zsolt Török, Géraud Wielick) und ihren Partnerinnen (Alice Firenze, Ionna Avraam, Oxana Kiyanenko, Anna Shepelyeva) nicht zu erkennen ist.
Reiner Tanz, präzise und abwechslungsreich zu klangfarbenreicher Musik von Igor Strawinsky – Herz und Auge, was wollt ihr mehr! Choreograf Lukács hat mit seiner Kreation für sechs Paare den Tänzer*innenund dem Publikum ein schönes Geschenk gemacht.
Die außergewöhnlichen Kostüme in Schwarzweiß und die Solos vor dem Vorhang, die aufregenden Pas de deux und exakten Gruppenauftritte werden lange im Gedächtnis bleiben.Ioanna Avraam mit Masayu Kimoto in "Movements" von András Lukács

Und zum Abschluss (zugleich ein Vorabschluss, denn die zu beschreibende Vorstellung ist die vorletzte in dieser Saison) „Der Feuervogel“ von und neuerdings mit Andrey Kaydanovskiy. Aufgefrischt und in leuchtenden Farben wirkt dieses Ballett, das von den Tänzer*innen allerhand darstellerische Feinheiten verlangt. Als hätten die Akteu*rinnen eine Energiespritze erhalten, damit der Tanz präzise und synchron erfolgt, der Pas de deux des Liebespaares Vasilissa, Ivan (Gala Jovanovic, witzig und energisch; Masayu Kimoto, überaus lebendig und gelöst) regt zum Träumen an, und der Feuervogel (Géraud Wielick) flattert wild und aufgeregt, ist böser Einflüsterer und schelmisches Vöglein zu gleich. Der Feuervogel  umgarnt den anfangs naiven Ivan. (Masayu Kimoto, Géraud Wielick) Und plötzlich sehe ich hinter der Fassade dieses Marktes der Eitelkeiten und der Gier Kaydanovskiys Humor leuchten. Nicht nur die Arbeiter (längst in perfektionierter Interpretation: Dumitru Taran, Scott McKenzie und Arne Vandervelde) sind komische Figuren, auch die Putzfrauen (Ionna Avraam, Sveva Giargiulio; Richard Szabó, Andrey Terin – alle vier ein Genuss), die Kunden und Prinzessinnen sind mit feinem Humor charakterisiert. Ich atme auf, so düster ist dieser Kaydanovskiysche „Feuervogel“ gar nicht. Wenn auch gelacht oder wenigstens geschmunzelt werden darf, ist die Welt noch nicht verloren.Vasilissa und Ivan finden zueinander (Gala Jovanovic, Kimoto)

Das Mirakel kann geschehen, wenn der Chef und Schöpfer des Balletts mittendrin tanzt. Ohne Peitsche und Rohrstock, vermutlich sogar ohne Worte, verleiht er seinem „Feuervogel“ die Flügel, von denen er geträumt hat. Diese Magie ist keine Ausnahme. Immer wieder ist zu beobachten, dass die Energie einer einzigen Tänzerin, eines einzigen Tänzers in führender Rolle das gesamte Ensemble zu Hochleistungen treibt.

Dirigent David Levi, Musical-Spezialist und auch gefragter Ballettdirigent, hat sich in Strawinskys Musik eingewühlt, regt die Blechbläser zu gellenden Jahrmarktsfanfahren an und dämmt Cello (Ricardo Bru) und Klavier (Chie Ishimoto) in der Suite Italienne („Movements“) zu wahren Ohrschmeichlern. Den gesamten Abend führt er das Orchester der Volksoper mit engagierter Emotionalität. Dem Publikum der Volksoper ist er seit mehr als zehn Jahren bestens bekannt. Das ist auch am warmherzigen Applaus zu spüren, der für die Tänzer*innen mit Jubelrufen garniert wird.

„Der Feuervogel – Petruschka | Movements do Stravinsky“, Choreografien von Andrey Kaydanovskiy, Eno Peçi, András Lukács. 14. Vorstellung am 15. Oktober 2017, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Letzte Vorstellung in dieser Saison am 21. Oktober 2017, 19 Uhr, Volksoper. Die Besetzung ist unverändert bis auf den Darsteller des Koschey. Wie bei der Premiere am 28. April 2017 wird Mihail Sosnovschi auch im Finale tanzen. Kaydanovskiy  schaut noch einmal vom Zuschauerraum aus auf die Bühne.
Die großatigen Fotos macht Ashley Taylor für das Wiener Staatsballett.